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11.08.2015

Klimawandel, Migration und Sicherheit Der Klimawandel bringt nicht nur Ökosysteme durcheinander, er bedroht auch die Lebensgrundlage vieler Menschen.

Klimawandel, Vertreibung und Migration: Bedarf an kurzfristigen Schutzmechanismen und langfristige Konsequenzen für die Politik

Umwelt- und Klimabedingungen haben die globalen Mobilitätsmuster von Menschen schon immer beeinflusst. In einem kürzlich erschienenen Artikel zeigt Piguet, dass viele der Begründer der Migrationswissenschaften (darunter Ratzel, Semple, Ravenstein, Huntington und Kropotkin), implizit oder explizit, ökologische und klimatische Überlegungen in Untersuchungen von Einflussfaktoren der menschlichen Mobilität mit einbezogen haben (Piguet, 2013).

In den meisten Migrationsstudien des zwanzigsten Jahrhunderts wurde die natürliche Umwelt jedoch nicht mehr berücksichtigt. Sie wird erst gegen Ende des 20. Jahrhunderts, und insbesondere in den letzten zehn Jahren nach der Veröffentlichung des Stern-Berichts über die Ökonomie des Klimawandels sowie des Vierten Sachstandsberichtes des Intergovernmental Panel on Climate Change wieder erwähnt (Stern, 2006; IPCC 2007).

© Sönke Kreft / UNU-EHS

© Sönke Kreft / UNU-EHS

Die meisten Veröffentlichungen, die sich mit Klimawandel, Umweltveränderungen und Migration befassen, betonen, dass für die politische Entscheidungsfindung immer noch nicht genug Klarheit bestehe. Eine ständig wachsende Zahl von Wissenschaftlern untersucht jedoch, inwiefern Klima- und Umweltfaktoren in Kombination mit anderen sozialen, wirtschaftlichen und politischen Faktoren Migrationsentscheidungen bestimmen (Foresight, 2011).

Ich werde kurz die beiden Hauptgründe für das in letzter Zeit zunehmende Interesse an diesem Thema unter Wissenschaftlern, Politikern und Praktikern darstellen:

1. Mangelnder Schutz von Personen, die im Zusammenhang mit Naturkatastrophen und Umweltzerstörung vertrieben wurden.
2. Das Potenzial von Migration als effektive Strategie von Haushalten, Existenzrisiken zu begegnen und sich an den Klimawandel anzupassen.

Abschließend werde ich dann die Auswirkungen des Klimawandels auf Migrationsmuster in ländlichen, landwirtschaftlichen Regionen des globalen Südens diskutieren, sowie die Bedeutung einer kohärenten Politik zugunsten kurzfristiger Schutzmaßnahmen sowie langfristiger Anpassungsprozesse.

1. Vertreibung und Lücken im gesetzlichen Schutz

In diesem Abschnitt sollen einige wichtige Themen hinsichtlich des Rechtstatus von Menschen, die infolge von Naturkatastrophen und Klimafaktoren (z.B. Anstieg des Meeresspiegels) vertrieben wurden, vorgestellt werden.

Vertriebene, die ihr Land verlassen: “Klimaflüchtlinge”?

Der Begriff „Klimaflüchtlinge" wird oft in der wissenschaftlichen Literatur und im Diskurs von internationalen NGOs verwendet, obgleich er in keinem internationalen Rechtstext erwähnt wird. Dies kann zum Teil durch die wahrgenommene Dringlichkeit erklärt werden, die Rechtslücken zu überbrücken, und das Interesse vieler internationaler Umweltschutzorganisationen, dem Klimawandel ein „menschliches Gesicht" zu geben.

Die Genfer Konvention von 1951 (geändert durch das Protokoll von 1967) definiert einen Flüchtling als Person, die “aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Befürchtungen nicht in Anspruch nehmen will; oder die sich als Staatenlose infolge solcher Ereignisse außerhalb des Landes befindet, in welchem sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatte, und nicht dorthin zurückkehren kann oder wegen der erwähnten Befürchtungen nicht dorthin zurückkehren will.“ Obwohl es den Vorschlag gibt, die Genfer Konvention auf "Klimaflüchtlinge" auszuweiten, gibt es ein breites Verständnis, dass die aktuelle Flüchtlingsregelung nicht auf Personen anwendbar ist, die durch Naturkatastrophen oder andere klimawandelbedingte Faktoren vertrieben wurden. Die Versuche, als Klimaflüchtlinge anerkannt zu werden, waren bisher erfolglos.

Wichtige nationale Gesetzgebung

Kein internationales Abkommen befasst sich speziell mit den Rechten von vertriebenen Personen im Zusammenhang mit Naturkatastrophen oder anderen Klima-/Umwelt-Stressoren. Einige Länder haben jedoch eine Politik entwickelt, die Menschen, deren Länder Naturkatastrophen erfahren haben, zumindest kurzfristig aufzunehmen.

Die Liste der relevanten Gesetze ist deutlich länger. Die unten aufgeführten stellen nur eine Auswahl da. Es ist festzustellen, dass die meisten dieser Gesetze Migranten nicht das Recht einräumen, in einen Staat einzureisen, sondern nur das Recht, sich dort aufzuhalten bzw. dort zu verbleiben, wenn sie bereits da sind.

• Die Vereinigten Staaten können (aufgrund einer Entscheidung des Secretary of Homeland Security) Personen in den Vereinigten Staaten, die vorübergehend nicht in der Lage sind, aufgrund von laufenden bewaffneten Konflikten oder Umweltkatastrophen sicher in ihr Heimatland zurückkehren, einen vorübergehenden Schutzstatus (Temporary Protected Status, TPS) gewähren;
• In Finnland besagt der Aliens Act, dass „Ausländern, die sich im Land befinden, eine Aufenthaltsgenehmigung auf der Grundlage eines Schutzbedürfnisses erteilt wird, wenn sie aufgrund eines bewaffneten Konflikts oder Umweltkatastrophe nicht zurückkehren können“ ;
• Schweden garantiert Menschen Asyl, die nicht die Voraussetzungen für die Anerkennung des Flüchtlingsstatus erfüllen, aufgrund einer Umweltkatastrophe aber nicht in ihr Heimatland zurückkehren können;
• In Italien wird in Artikel 20 der Gesetzesverordnung Nr. 286 vom 25.07.1998 erklärt, dass vorübergehende Schutzmaßnahmen aufgrund von Naturkatastrophen ergriffen werden können. Diese Maßnahmen können durch ein Dekret des Präsidenten des Rates der Minister im Einvernehmen mit den betroffenen Ministern eingeleitet werden.

Binnenvertriebene

Die Debatte über die humanitären Folgen von Klimawandel und Naturkatastrophen wird bei politischen Überlegungen immer noch von den Bedenken angetrieben, dass Millionen von Migranten infolge des Klimawandels aus dem globalen Süden in den globalen Norden übersiedeln könnten.

Wissenschaftler sind sich einig, dass diese Bedenken unbegründet sind und die meisten klimawandelbedingten Migrationsbewegungen innerstaatlich erfolgen werden, es sei denn, Binnenmigration ist nicht möglich (wie zum Beispiel bei den tiefliegenden kleinen Inselstaaten). Es ist außerdem wichtig, den Rechtsstatus zu betrachten, der für diese Binnenmigranten geeignet ist.

Binnenvertriebene werden durch die United Nations Guiding Principles on Internal Displacement definiert als „persons or groups of persons who have been forced or obliged to flee or to leave their homes or places of habitual residence, in particular as a result of or in order to avoid the effects of armed conflict, situations of generalized violence, violations of human rights or natural or human-made disasters, and who have not crossed an internationally recognized State border" (United Nations, 1998).

Binnenmigranten können dann den Status von Internally Displaced Persons IDP erhalten, wenn Umwelt-/Klimafolgen als Naturkatastrophen anerkannt werden. Diese Leitlinien gelten jedoch nicht verbindlich für die UN-Mitgliedstaaten. Es liegt daher im Ermessen der einzelnen Staaten, Binnenvertriebene in Übereinstimmung mit ihrer Gesetzgebung zu schützen. Einige Staaten (und die gesamte Afrikanische Union im Rahmen der Kampala-Konvention) haben beschlossen, die Leitlinien in nationales Recht zu überführen, andere dagegen nicht.

Perspektive

Im Falle von Binnenvertriebenen ist es besonders wichtig, dass möglichst viele Staaten die IDP Leitlinien annehmen und wirksam umsetzen, um den Schutz von Migranten zu erhöhen.

Darüber hinaus führten die Regierungen der Schweiz und von Norwegen im Oktober 2012 einen staatlich geführten Bottom-up-Konsultationsprozess, die sogenannte „Nansen-Initiative", ein, die ein großer Schritt zum Abbau der gegenwärtigen Schutzlücken für international vertriebene Menschen ist. Die Initiative zielt darauf ab, einen Konsens über eine Schutzagenda zu finden, die auf die Bedürfnisse der Menschen ausgerichtet ist, die über internationale Grenzen hinweg infolge von Naturkatastrophen einschließlich der Auswirkungen des Klimawandels, vertrieben wurden.

2. Migration, Anpassung an den Klimawandel und nachhaltige Entwicklung in den Herkunftsgebieten

Mit einer zunehmenden Zahl von Studien wurde gezeigt, dass Migration eine Anpassungsstrategie an den Klimawandel darstellen kann. Dieser Aspekt sollte parallel zu den Problemen der Vertreibung infolge von Naturkatastrophen und den negativen Auswirkungen des Klimawandels berücksichtigt werden.

Weltweit haben derzeitig verschiedene Regierungen Maßnahmen ergriffen, Migranten zur Entwicklung ihrer Herkunftsgebiete zu mobilisieren. Einige Regierungen versuchen insbesondere eine effektive Diasporapolitik zu entwickeln, um die Einwanderung und Rückkehr qualifizierter Migranten zu fördern und Anreize für die effektive Nutzung von Geldtransfers von Migranten zu schaffen.

Das Gleiche erfolgte bei der Anpassung an den Klimawandel. Kapitel 20 der Arbeitsgruppe II des kürzlich veröffentlichten fünften IPCC Sachstandsberichtes erwähnt „klimaresistente Entwicklungspfade", ein Konzept, das die bestehende Lücke zwischen der Anpassung an den Klimawandel und nachhaltigen Entwicklungsansätzen schließt. In diesem Zusammenhang wird es entscheidend sein, das Entwicklungspotenzial von Migration im ökonomischen Sinne zu entfachen. Gleichzeitig muss man sicherstellen, dass Migration die Anpassungsfähigkeit der Herkunftsgebiete erhöht, die oft durch eine hohe Prävalenz von Armut und Ernährungsunsicherheit geprägt sind.

Schlussfolgerungen

Migration sollte immer dann als Bestandteil einer positiven Anpassungsstrategie gefördert werden, wenn sie sich effektiver als Anpassungsoption vor Ort erweist. Insbesondere die Migration von einem oder mehreren Haushaltsmitgliedern kann die Existenzgrundlage des gesamten Haushaltes verbessern und es dadurch möglich machen, dass Haushalte besser mit Risiken umgehen können. Darüber hinaus kann eine kurzfristige/saisonabhängige Mobilität Menschen die Möglichkeit eröffnen, in ihren Herkunftsgemeinden zu bleiben.

Durch Naturkatastrophen und Klimawandel wird voraussichtlich eine wachsende Zahl von Menschen vertrieben werden. Ihr Schutz sollte durch die Anerkennung der Nansen Schutz-Agenda (internationale Migranten) und die Anerkennung der effektiven Umsetzung der IDP Leitlinien (Binnenmigranten) verbessert werden. Auf längere Sicht sollten die Staaten versuchen, eine Harmonisierung der Schutzmaßnahmen für die Menschen herbeizuführen, die infolge von Klimawandel und Naturkatastrophen national und international vertrieben wurden.

Zwischen Klima- und Umweltfaktoren und der Mobilität von Menschen besteht jedoch nicht nur in Form von Migration und Vertreibung eine Wechselwirkung. Der jüngste Foresight-Bericht hat zum Beispiel das Problem jener Menschen beleuchtet, die - beispielsweise aus finanziellen Gründen - nicht in der Lage sind, ihr Herkunftsgebiet trotz schwerer ökologischer und klimatischer Belastungen zu verlassen. Ihre Bedürfnisse und Probleme sind in der Migrationsforschung oft vernachlässigt worden.