Zur Übersichtsseite "Dossiers"
15.07.2021

Klimawandel in Norddeutschland Welche Entwicklung lässt sich bereits in den Beobachtungen nachvollziehen und was zeigen die Szenarien?

Land-Ökosysteme: Böden, Pflanzen und Tiere

Sauberes Grundwasser, Bestäubung von Obstbäumen oder Hangstabilität sind für uns essenzielle Ökosystemleistungen. Eine Beeinträchtigung ihrer Funktionalität und Stabilität hätte tiefgreifende Konsequenzen für Wirtschaft und Gesellschaft.

© RicMei

© RicMei

Klimaänderungen haben in der Erdgeschichte immer tiefgrei­fende Konsequenzen für Ökosysteme gehabt. Die Wälder Nord-­ und Mitteleuropas wurden beispielsweise während der Eiszeiten mehrfach massiv zurückgedrängt und mussten sich in den Warmzeiten jeweils neu etablieren, was zu großen Artenverlusten führte. Die ökologische Anpassung an solche Klimaänderungen beanspruchte einen Zeitraum von Jahrtau­senden. Der anthropogene Klimawandel vollzieht sich deutlich schneller. Auch aufgrund der unterschiedlichen ökologischen Rahmenbedingungen können die Erkenntnisse aus der erdgeschichtlichen Entwicklung kaum auf die aktuelle und zukünftige Vegetationsdynamik übertragen werden. Wegen des hohen Komplexitätsgrades der Biosphäre können bisher keine konkreten Auswirkungen des Klimawandels auf Ökosysteme vorhergesagt werden. Allenfalls lassen sich großräumige Übersichten über die Verschiebung von Vegetationszonen und die Biomasseentwicklung ableiten.

Böden werden maßgeblich durch Temperatur und Niederschlag beeinflusst. Erwärmung und Niederschlagsänderungen wirken sich auf den Wasser-­ und Wärmehaushalt der Böden aus, steuern die Aktivität der Bodenorganismen und beeinflussen den (Nähr-­) Stoffhaushalt.

Screenshot auf Tabelle 6.1 https://link.springer.com/chapter/10.1007/978-3-662-55379-4_6

Screenshot auf Tabelle 6.1 https://link.springer.com/chapter/10.1007/978-3-662-55379-4_6

Die Auswirkungen unterscheiden sich jedoch je nach Bodentyp und ­-eigenschaften. Böden mit geringem Wasserspeichervermö­gen und geringer Wasserleitfähigkeit sind besonders trocken­heitsgefährdet. Die gute Wasserspeicherfähigkeit der Marschen würde auch bei abnehmendem Niederschlag eine gute Wasser­versorgung und ­-nachlieferung ermöglichen. Auf den Auen­böden der Elbe kann sich jedoch bei einer möglichen Zunahme der Sommertrockenheit Trockenstress für Pflanzen vor allem in den Monaten Juli bis November deutlich ausprägen. Nieder­schlagszunahmen führen an wasserdurchlässigen Geeststandor­ten zu erhöhter Grundwasserneubildung und erhöhter Verlage­rung von Stoffen (auch Schadstoffen). Zudem ist vor allem bei sandigen Böden mit einer erhöhten winterlichen Nitratverlage­rung und ­-auswaschung zu rechnen. Bei weniger wasserdurch­lässigen Böden können Vernässung und Stauwasserbildung zunehmen, durch die Bodenverdichtung und Erosion begünstigt werden. Generelle Bodenschutzmaßnahmen gegen die Aus­wirkungen des Klimawandels lassen sich nicht ableiten, da die Wechselwirkungen je nach Standort zu unterschiedlich sind.

Der Lebenszyklus der Tier- und Pflanzenwelt ist in den mittleren Breiten maßgeblich von Temperatur und Licht abhängig. Zeitliche Verschiebungen des Blattaustriebs, der Knospung, der Blüten­ und Fruchtbildung, von Beginn und Ende des Winterschlafs, Vogelzugterminen oder der herbst­lichen Blattverfärbung sind nur einige Beispiele für die Reaktionen der Tier­ und Pflanzenwelt auf klimatische Trends.

In den letzten 50–70 Jahren haben sich die Vegetationsperioden in den mittleren Breiten der Nordhalbkugel um 14–24 Tage verlängert. Dies ist hauptsächlich auf einen früheren Vegetati­onsbeginn zurückzuführen. Diese frühere Pflanzenentwicklung ist sowohl bei Wild-­ als auch bei Kulturpflanzen zu beobachten.

Süßkirsche, Birne, Sauerkirsche und Apfel fangen heute etwa zwei Wochen früher an zu blühen als in den 1970er­ Jahren und der Erntetermin für Gerste und Winterweizen hat sich im selben Maße verschoben.

Screenshot auf Tabelle 6.2  https://link.springer.com/chapter/10.1007/978-3-662-55379-4_6

Screenshot auf Tabelle 6.2 https://link.springer.com/chapter/10.1007/978-3-662-55379-4_6

Der Klimawandel wird sich zwangsläufig auch auf die verschie­densten biotischen Wechselwirkungen, Beziehungen und Abhängigkeiten auswirken. Hierzu zählen u. a. die Bestäubung, aber auch Parasitismus und verschiedene Räuber­-Beute­-Bezie­hungen. Die zeitliche Entkoppelung der interagierenden Arten kann gravierende Änderungen in den Nahrungsnetzen bewir­ken. Beispielsweise ist die zeitliche Abstimmung von Tieren und ihren Nahrungspflanzen nicht mehr gegeben, weil Pflan­zen früher austreiben, als Tiere aktiv werden, oder umgekehrt. Solche gravierenden Änderungen in Nahrungsnetzen können oft erst durch evolutive Anpassungen ausgeglichen werden. Andererseits können durch die zeitliche und räumliche Verschiebung neue Nahrungsbeziehungen zwischen Schädlin­gen und Wirtspflanzen entstehen.

Bereits heute werden deutliche Verschiebungen der Lebens­räume zahlreicher Tier­ und Pflanzenarten beobachtet. Die Geschwindigkeit dieser Arealverschiebungen liegt bei etwa 17 km pro Dekade.

Screenshot auf Abb 6.10 https://link.springer.com/chapter/10.1007/978-3-662-55379-4_6

Screenshot auf Abb 6.10 https://link.springer.com/chapter/10.1007/978-3-662-55379-4_6

Der Klimawandel begünstigt darüber hinaus die Etablierung bisher unbeständig auftretender nichtheimi­scher Arten. Nichtheimische wärmeliebende Gehölze wie Lorbeerkirsche oder Walnussbaum zeigen im Bereich städtischer Wärmeinseln starke Ausbreitungstendenzen, so beispielsweise auch in Hamburg.

Der Klimawandel trägt auch maßgeblich zum Rückgang von Bestäubern bei, da er sich in vielfältiger Weise, in der Regel negativ, auf die Wechselwirkung zwischen Blütenpflanzen und Bestäubern auswirkt. Die Bestäubung stellt eine der wichtigsten ökologischen Serviceleistungen dar, denn 60–80 % der Wild­pflanzen und etwa 35 % der Feldfrüchte sind von Bestäubern abhängig.

Für den verbreitet zu beobachtenden Rückgang von Honig­bienen sind Faktoren wie Pestizideinsatz, Krankheiten und Stress bzw. deren Kombination relevanter als der Klimawandel. Der Klimawandel erhöht jedoch innerhalb dieses Faktoren­komplexes die Sensitivität gegenüber anderen Einflüssen.

Auch das Artenspektrum der Wälder wird sich ändern. Dabei sind nachteilige Auswirkungen auf die Holzzuwächse zukünftig insbesondere auf Standorten zu erwarten, auf denen schon heute Hitze und Trockenheit das Wachstum begrenzen. Auf bisher wärmelimitierten Standorten dürfte es dagegen bei ausreichender Wasserversorgung zu Zuwachssteigerungen kommen. Die Wälder Mitteleuropas sind derzeit eine bedeutende Senke für Kohlenstoff. Vermehrter Trockenstress in den Sommermonaten würde die Kohlenstoffspeicherung jedoch einschränken und könnte die Wälder zu einer CO2-­Quelle werden lassen.

Handlungsoption zur Erhaltung der Kohlenstoffspeicherfunktion der Böden
Vor dem Hintergrund des Klimawandels sollte generell angestrebt werden, die Kohlenstoffspeicherfunktion der Böden zu erhalten bzw. diese wiederherzustellen. Dies kann erreicht werden, indem großflächige Grundwasserabsenkungen, Abtorfungen und die landwirtschaftliche Nutzung von Mooren vermieden werden. Hoch- und Niedermoore sollten geschützt bzw. regeneriert werden. Böden, die leicht abgetragen werden (Erosionsgefährdung durch Wind und Wasser), sollen durch eine angepasste Landnutzung besser geschützt werden. Insbesondere sollten Böden geschützt werden, die zur Kühlung der unteren Luftschichten in Städten beitragen. Hier sollten Bebauung und Flächenversiegelung vermieden werden.