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16.01.2019

Klimawandel und Wirtschaft – neu Der Klimawandel wird sich künftig verstärkt auf die Handlungsmöglichkeiten von Unternehmen auswirken. Wie greift die Wirtschaft den Klimawandel auf?

Wie lässt sich die Verletzlichkeit internationaler Wertschöpfungsketten für Regionen und Branchen ermitteln?

In den letzten Jahrzehnten hat eine zunehmende Internationalisierung der wirtschaftlichen Tätigkeiten stattgefunden. Zwar ist der internationale Handel keine neue Erscheinung, jedoch hat er durch vielfältige Impulse wie die Öffnung internationaler Märkte, der Abbau von Handelshemmnissen, neue Informations- und Kommunikationstechnologien sowie neue Transportmöglichkeiten frühere Ausmaße bei weitem übertroffen. Es wird global eingekauft und global produziert, so dass mittlerweile in nahezu allen Wertschöpfungsketten internationale Wirtschaftsverflechtungen selbstverständlich sind. Regionen werden damit stärker voneinander abhängig und Risiken der einen Region können zu Risiken einer anderen Region werden.

© fotolia/RealPhotoItaly

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Dass der Klimawandel mittlerweile auch zu diesen Risiken mit zum Teil erheblichen Auswirkungen gehört, zeigen zwei Beispiele:
Die Trockenperiode in Deutschland im Jahr 2018 verursachte einen gravierenden Wassermangel nicht nur für die Landwirtschaft, sondern auch für die Binnenschifffahrt. Wichtige Binnenwasserstraßen wie der Rhein waren über lange Zeit nur eingeschränkt befahrbar, so dass aufgrund ausbleibender Rohstofflieferungen Unternehmen z.B. der Chemieindustrie ihre Produktion über längere Zeit drosseln mussten (siehe: Die Zeit 2018).

Von der Überschwemmungskatastrophe in Thailand im Jahre 2011 waren Gewerbegebiete in der Region Bangkok betroffen, in denen auch Bauteile für die IT-Industrie gefertigt wurden. Über 14.000 Unternehmen der Computer- und Automobilbranche weltweit konnten in Folge dessen keine Vorprodukte erhalten, so dass ein Produktionsschaden von über 40 Mrd. US$ entstand (siehe: Liverman 2016).

Das zweite Beispiel zeigt, dass Klimarisiken quasi „importiert“ werden können: Die Industriekunden der betroffenen Unternehmen aus Thailand waren in aller Welt ansässig. In diesem Kontext sprechen wir von einer indirekten Betroffenheit der Region durch den Klimawandel.

Wenngleich Konzepte wie das Supply Chain Management (siehe hierzu: Monczka et. al. 2005 und Chopra et. al. 2010) dies suggerieren, sind Wertschöpfungsketten auch heute noch nicht völlig transparent und zentral steuerbar. Häufig reichen die Informationen und damit auch die Eingriffsmöglichkeiten vieler Wirtschaftsakteure in ihre relevante Wertschöpfungskette nur bis zur direkt vor- oder nachgelagerten Stufe. Zudem werden Informationen über zukünftige Herausforderungen wie z.B. die der Klimaanpassung in für die Wirtschaft wichtigen Wertschöpfungsketten bisher nur selektiv erhoben. Studien konzentrieren sich weitgehend auf die Sektoren Ernährungswirtschaft, Transport, Tourismus oder Energie. Ein Großteil der Wertschöpfung erfolgt aber gerade im produzierenden und im Dienstleistungssektor (Liverman 2016). Deren Risiken werden aktuell nur wenig abgebildet. Primäranalysen und Einzelfallbetrachtungen sind daher oft erforderlich.
Die Analyse von Wertschöpfungsketten im Hinblick auf den Klimawandel setzt einen im Vergleich zu klassischen Ansätzen des Supply Chain Managements deutlich erweiterten Bezugsrahmen voraus: Während das Supply Chain Management die Stoff- und Informationsflüsse sowie die Aktivitäten und die Kooperationsbeziehungen der Akteure der Wertschöpfungsstufen betrachtet, müssen bei einer Berücksichtigung der Klimaanpassung zusätzlich die Auswirkungen einbezogen werden, die sich durch die natürliche (bzw. die veränderte) Umwelt für die Wertschöpfungskette ergeben.

Methodik der vulnerabilitätsbezogenen Wertschöpfungskettenanalyse

Um eine größere Transparenz über die Charakteristika der Wertschöpfungskette – und damit auch über ihre Verletzlichkeit gegenüber dem Klimawandel – zu erzielen, ist im Rahmen des Verbundprojekts „nordwest2050 – Perspektiven für klimaangepasste Innovationsprozesse in der Metropolregion Bremen-Oldenburg im Nordwesten“ ein systematischer Bezugsrahmen zur mehrdimensionalen Erfassung von möglichen Klimawirkungen auf Wertschöpfungsketten erarbeitet worden. Ziel der vulnerabilitätsbezogenen Wertschöpfungskettenanalyse (Akamp et. al. 2010) ist es, aus natur- und zugleich sozialwissenschaftlicher Sicht systematisch diejenigen Bestandteile einer Wertschöpfungskette zu identifizieren, welche vom Klimawandel in einem besonderen Ausmaß betroffen sind. Das Besondere an der vorliegenden Methodik ist die Verknüpfung technisch-struktureller, ökonomischer und sozialwissenschaftlicher Verfahren.

Es ist sinnvoll, sich bereits im Vorfeld der Analyse einen – relativ groben – Überblick über die zentralen Veränderungen des Klimas und deren naturräumlichen Wirkungen in den für die Wertschöpfungskette betreffenden (Haupt-)Regionen zu verschaffen. Ziel ist es dabei, ein Vorverständnis über die möglichen Wirkungen zu gewinnen und zu explizieren. Hierdurch können für die nachfolgenden Schritte der Analyse eine vorschnelle Einengung auf bestimmte Aspekte des Klimawandels vermieden und erste Hypothesen zu den Herausforderungen der betrachteten Wertschöpfungskette abgeleitet werden. Eine erste Orientierung können die bisher eher rudimentär vorliegenden Studien zu den Wirkungen des Klimawandels in den Wirtschaftssektoren geben.

Gerade bei sehr komplexen Wertschöpfungsketten ist es wichtig zu definieren, welche Ziele mit der Analyse erreicht werden sollen. Hierdurch wird der Prozess der Analyse auf einen bestimmten inhaltlichen Untersuchungsraum fokussiert und ein „Abschweifen“ auf Nebenfelder vermieden. Helfen können hierzu leitende Fragestellungen, die zu Beginn der Analyse geklärt werden sollten. Beispiele aus dem Projekt „nordwest2050“ wären:

  • Welche Bereiche der betrachteten Wertschöpfungskette sind in der Region vom Klimawandel signifikant betroffen?
  • Wie groß ist hierbei der Einfluss der vor- und nachgelagerten Stufen auf die Produktion?

Die Analyse der Wertschöpfungskette erfolgt in drei Schritten und generiert Informationen zu:

  • Strukturen und (organisations-)kulturellen Aspekten der Wertschöpfungskette,
  • zu Gütern und Stoffen, die in der Wertschöpfungskette relevant sind, und
  • zu Klimafolgen für die Regionen, in denen die Stufen der Wertschöpfungskette verortet sind.

Schritt 1

Der erste Schritt umfasst die Analyse der Wertschöpfungskette (oder besser: des Wertschöpfungsnetzwerks) in Bezug auf die Stufen der Kette, die dort relevanten Akteure sowie die Strukturen und Prozesse. Wertschöpfungsketten umfassen in ihrer klassischen Ausprägung die Stufen „Vorproduktion“, „Produktion“, „Handel und Logistik“ und „Konsum“. Erkennbar werden hierdurch die formalen Organisationsstrukturen und -prozesse innerhalb und zwischen den Stufen der Kette. Diese formale Gestalt der Wertschöpfungskette lässt sich z.B. in einem Diagramm wie dem SCOR-Modell (Supply Chain Operations Reference Model; siehe hierzu: Bolstorff et. al. 2007) abbilden (siehe Abbildung 1).

Abbildung 1: Erweitertes SCOR-Modell (in Anlehnung an Bowersox et al., 2002: 6)

Abbildung 1: Erweitertes SCOR-Modell (in Anlehnung an Bowersox et al., 2002: 6)

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Die Transparenz über die Wertschöpfungskette ist ein wesentlicher Schritt: Sie bildet die Grundlage für viele strategische Überlegungen wie z.B. zum Geschäftsmodell des Unternehmens, aber auch zur Analyse der Chancen und Risiken des Unternehmens, seien sie wirtschaftlich, sozial oder umwelt- bzw. klimabezogen.
Neu ist, dass zusätzlich zur organisationalen auch eine Analyse kultureller Aspekte (z.B. Wahrnehmungsmuster, Organisationsroutinen oder Branchen-Standards) erfolgt, aus denen potenzielle Barrieren oder auch Treiber für das Einbeziehen von Klimawandel und Klimaanpassung resultieren können. So können z.B. branchenweite Qualitätsstandards oder starke Abhängigkeiten zwischen den Akteuren den Handlungsspielraum einengen. Diese kulturellen Aspekte werden aber oft als „Setzung“ wahrgenommen und daher nicht als mögliche „Schwachstelle“ erkannt, auf die man Einfluss nehmen muss, um die Wertschöpfungskette gegenüber Risiken zu stärken.

Für den Schritt 1 sind folgende Erhebungsmethoden sinnvoll:

  • Einzelinterviews/-gespräche mit Experten aus den beteiligten Unternehmen/ Verbänden zur ersten thematischen Orientierung, Strukturierung und Datensammlung;
  • anschließend Präzisierung und Detaillierung durch organisationsinterne Recherchen (z.B. Daten aus der Einkaufsabteilung, der Produktionsplanung, dem Vertrieb oder dem Personalwesen);
  • Workshop(s) der beteiligten Experten zur Diskussion und Änderung/Ergänzung des erarbeiteten Sachstands.

Schritt 2

Im zweiten Schritt werden die erfassten Strukturen und Prozesse mit Hilfe einer Stoffflussanalyse (siehe hierzu: ÖWAV 2003) mit Informationen zu den eingesetzten Ressourcen und den erzeugten Produkten ergänzt. Durch Schritt 1 und 2 wird ersichtlich, welche konkreten „Angriffspunkte“ (Rezeptoren) für Klimawirkungen bestehen und welche Relevanz diese für die Wertschöpfungskette besitzen. Darüber hinaus werden aber auch Ansatzpunkte für Anpassungsmaßnahmen sichtbar.

Eingesetzte Ressourcen können unterschieden werden in:

  • Stoffe, Energieträger und Güter (Waren und Dienstleistungen) sowie
  • Infrastruktur, Personaleinsatz, Finanzbedarf und Informationssysteme.

Erzeugte Produkte können unterschieden werden in:

  • Stoffe, Energieträger und Güter (Waren und Dienstleistungen).

Bezogen auf die Analyse der Verletzlichkeit einer Wertschöpfungskette sollten folgende Merkmale der Güter und Stoffe quantitativ und/oder qualitativ erhoben werden:

  • Einsatzmenge bzw. Nachfrage,
  • Kosten (Ressourcen) bzw. Preise (erzeugte Produkte),
  • Herkunft bzw. Einsatzort,
  • Abhängigkeit (Grad der Verfügbarkeit und Substitutionsmöglichkeiten) sowie
  • Qualität (Produkt- und Prozessqualität).

Die Informationen hierzu können sowohl aus Primärquellen (z.B. Daten des Einkaufs, der Produktionsplanung oder des Controllings) als auch aus einer Auswertung von Sekundärquellen (z.B. Branchenstatistiken) stammen. Es ist zu aufwendig und auch nicht sinnvoll, alle Stoffflüsse, Güter und Verflechtungen entlang der Wertschöpfungskette darzustellen. Vielmehr bilden die anfangs formulierten leitenden Fragestellungen den Ausgangspunkt für die Systemfestlegung, so dass sie die Untersuchung eingrenzen.

Schritt 3

Im dritten Schritt wird die klimabezogene Vulnerabilität der Wertschöpfungskette in Bezug auf die erfassten „Angriffspunkte“ (Rezeptoren) ermittelt und bewertet. Vulnerabilität bezeichnet die Verletzlichkeit eines Systems gegenüber inneren und äußeren Einwirkungen unter Berücksichtigung des momentanen Anpassungsgrades und seiner Anpassungskapazität (siehe hierzu: Schuchardt et. al. 2011). Die Vulnerabilität ist eine Funktion der Exposition (durch ein (Klima)Störereignis), der Sensitivität und der Anpassungskapazität: V= f(E, S, Ak). Die abschließende Abschätzung der Vulnerabilität auf Basis der ermittelten Informationen zu Exposition, Sensitivität und Anpassungskapazität sollte aus unserer Sicht qualitativ erfolgen.

Ausgehend von den (regionalen) Klimaprojektionen wird zunächst bestimmt, welche Exposition auf die Prozesse sowie auf die Stoff- und Güterflüsse (Schritt 1 und Schritt 2) der Wertschöpfungskette einwirkt. Nun kann ermittelt werden, wie sensitiv bzw. empfindlich diese im Hinblick auf die Klimaänderung sind. Mögliche Indikatoren zur Prüfung der Sensitivität sind z.B. die oben genannten Merkmale der Stoff- und Güterflüsse: Ein Vorprodukt, das eine hohe Relevanz aber auch eine starke Knappheit für das Unternehmen aufweist, wäre kritisch zu betrachten, wenn es starken Klimarisiken unterliegt. Erst durch das Zusammenwirken von Exposition und Sensitivität werden potentielle Auswirkungen auf die Wertschöpfungskette sichtbar. Diese können sowohl positive (Chancen) als auch negative (Risiken) Folgen haben.

Die Anpassungskapazität bezeichnet die Fähigkeit, Anpassungsmaßnahmen als Reaktion auf die Auswirkungen des Klimawandels durchzuführen, um potentielle Schäden zu vermeiden oder zu vermindern, aber auch um Chancen zu nutzen. Zur Ermittlung der Anpassungskapazität ist zum einen zu klären, in welchem Maß eine „natürliche Anpassungskapazität“ besteht (z.B. bei biologischen Prozessen), welches Anpassungswissen verfügbar ist und welche Möglichkeiten zur Anpassung bestehen. Anpassungswissen und Anpassungsmöglichkeiten können bereits in anderen Regionen oder Branchen (mit vergleichbaren klimatischen Herausforderungen) vorliegen, so dass ein Transfer denkbar wäre. Zum anderen ist die Anpassungsbereitschaft zu klären, d.h. welche Barrieren oder Treiber bei einer Einführung von Anpassungsmaßnahmen bestehen. Insbesondere Aspekte der (Organisations-)Kultur – wie z.B. langjährige Routinen oder etablierte Standards - können hierfür in der Wertschöpfungskette eine große Rolle spielen.

Fallbeispiel Milchwirtschaft in Nordwestdeutschland

Die Ergebnisse der Vulnerabilitätsuntersuchung in der Milchwirtschaft zeigen, dass die jeweiligen Stufen der Wertschöpfungskette in unterschiedlichem Maße vulnerabel sind (siehe hierzu: Mesterharm 2011). Während die Viehwirtschaft grundsätzlich stark von den klimatischen und natürlichen Prozessen (vergleichsweise hoher Anteil an regionalem Futtermittel, offenes Stallsystem) abhängig ist, lassen sich auf der Stufe der Vorproduktion (Erzeugung von regionalem Grünfutter) zusammenfassend eher positive Auswirkungen durch den regionalen Klimawandel in Nordwestdeutschland erkennen. Die Analyse der Wertschöpfungskette zeigte auch, dass im Vergleich zum Sektor der Fleischerzeugung geringere Abhängigkeiten von internationalen Beschaffungsmärkten z. B. für Mischfutter bestehen. Allerdings bleibt auch ein Unsicherheitsfaktor (insbesondere für den Soja-Anteil) bestehen, da Preis und Verfügbarkeit durch den globalen Einkauf deutlich schwanken können.

Für die Stufe der Milcherzeugung konnten durch zunehmende Temperatur und Feuchtigkeit geringe bis mittlere negative Effekte identifiziert werden. Die nachgelagerten (technisierten) Stufen wie Milchverarbeitung und Lebensmitteleinzelhandel werden hingegen weniger stark von klimatischen Prozessen betroffen sein, sie beeinflussen aber mit ihren Entscheidungen z.B. zu Preisen oder zur Sortimentsgestaltung die ihnen vorgelagerten Stufen der Wertschöpfungskette sehr deutlich und definieren damit Handlungsspielräume. In der Milchvermarktung lassen sich (mittlere) positive Effekte durch den globalen Klimawandel erkennen, da für die in Nordwestdeutschland ansässigen Molkereien relative Wettbewerbsvorteile auf internationalen Märkten mit stärkerer Betroffenheit durch den Klimawandel entstehen können. Ein Ausschöpfen dieser möglichen Vorteile könnte jedoch zu einer weiteren Intensivierung der Milcherzeugung führen.

Erkennbar wird, dass auf allen Stufen Anpassungsmöglichkeiten vorhanden sind. Die Fähigkeit, sich an den Klimawandel anzupassen, ist allerdings stark von der Bereitschaft der Akteure und ihren sozio-ökonomischen Freiheitsgraden abhängig. Zu den sozio-ökonomischen Einflussgrößen gehören insbesondere die strukturellen Rahmenbedingungen der Branche und der Preis- und Produktivitätsdruck durch den Handel.

Fazit

Mit Hilfe der vorgestellten Methodik kann der Anpassungsbedarf von Wertschöpfungsketten an die Herausforderungen des (regionalen) Klimawandels aufgezeigt werden. Sie kann aber auch als Grundlage für neue strategische Denkanstöße und Innovationspfade für die Region und/oder Branche dienen, um Klimaanpassung nicht nur als ein rein technisch zu steuerndes Problem zu begreifen, sondern um neue und ganzheitliche Lösungen für die Region und/oder die Branche zu suchen.

Autoren
Autoren Mesterharm
Dr. Michael Mesterharm
Autoren Akamp
Dr. Marion Rohjans

(beide ehemals: Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, Fachgebiet Produktion und Umwelt)
Quellen