Auswirkungen des Klimawandels auf den Energiesektor in Deutschland
Durch den Klimawandel entsteht neben dem Klimaschutz zunehmend auch Handlungsbedarf zur Anpassung an die heute bereits unvermeidlichen und zukünftig zu erwartenden Folgen des Klimawandels. Hierbei kommt dem Energiesektor eine besondere Bedeutung zu. Zum einen ist die Energieinfrastruktur eine Kritische Infrastruktur und zum anderen befindet sich der deutsche Energiesektor durch die Energiewende in einem umfassenden Transformationsprozess.
Als wesentliche klimawandelbedingte Einflüsse gelten in Deutschland die Wasserverfügbarkeit, steigende Durchschnittstemperaturen sowie die Folgen von Extremwetterereignissen. Dabei ist derzeit vor allem die Verfügbarkeit von Kühlwasser und die Funktionsfähigkeit der Stromnetzinfrastruktur von großer Bedeutung.
Insbesondere die 2018 in Deutschland zu beobachtenden Folgen des extrem trockenen und überdurchschnittlich warmen Jahres haben schon jetzt Anfälligkeiten der Energieversorgung erkennen lassen. Insbesondere thermische Kraftwerke waren hier durch direkte und indirekte Folgen des Klimawandels – wie eine ansteigende Lufttemperatur, vermehrte Temperaturextreme, steigende Wassertemperaturen sowie niedrige Flusswasserpegel und ein reduziertes Wasserangebot zu Kühlzwecken – betroffen.
Zukünftig zu erwartende Betroffenheiten
Regionale Klimaprojektionen zeigen für Deutschland eine Zunahme der mittleren Lufttemperatur und damit zwangsläufig auch der Wassertemperatur. Durch eine weitere Verschiebung der Niederschläge vom Sommer in den Winter ist lokal von einer Zunahme der sommerlichen Niedrigwassersituation auszugehen, was insbesondere in Verbindung mit höheren Sommertemperaturen die Kühlwassersituation weiter negativ beeinflussen wird. Somit ist zu erwarten, dass Szenarien, die es notwendig machen, Kraftwerke in Folge steigender Luft- und Wassertemperaturen sowie sinkender Flusswassermengen zu drosseln oder herunterzufahren, häufiger auftreten werden und keine Ausnahmeerscheinungen mehr bleiben.
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Eine weitere zentrale Herausforderung der Anpassung des Energiesektors an die Folgen des Klimawandels besteht in der zukünftigen Ausgestaltung der Übertragungs- und Verteilnetzinfrastruktur für die Stromversorgung. Hier sind vor allem Extremwetterereignisse relevant, die sich negativ auf die Leitungsfähigkeit bei steigenden Temperaturen und insbesondere bei häufiger auftretenden warmen Temperaturextremen und Hitzewellen auswirken oder zu einer unmittelbaren Beschädigung von beispielsweise Masten, Kabeln und Transformatoren führen. Dabei zeigen sich deutliche Unterschiede hinsichtlich der Betroffenheit in den unterschiedlichen Netzen und einzelnen Elementen – insbesondere bei den Verteilerstationen und Transformatoren. Während die Verteilnetze bereits heute zu einem beträchtlichen Teil unterirdisch verlaufen und somit nur eine geringe Klimaexposition gegeben ist, verlaufen die Übertragungsnetze größtenteils überirdisch und sind den atmosphärischen Wetter- und Klimaeinflüssen direkt ausgesetzt. Die Auswirkungen auf den oberirdischen Teil der Netze können dabei vielfältig sein. Wenngleich die Masten und Leitungen grundsätzlich auf Extremsituationen ausgelegt sind, können sie durch hohe Eis- und Schneelasten, Stürme mit hohen Böengeschwindigkeiten oder Blitzschläge beschädigt werden. Bisher schon beobachtete großflächige Zusammenbrüche von Masten – wie beispielsweise im Winter 2005 im Münsterland mit den Folgen einer mehrtägigen Versorgungsunterbrechung – waren jedoch oft nicht nur auf eine Ursache zurückzuführen, sondern auf das Zusammenwirken unterschiedlicher extremer Einflussfaktoren – sogenannter kumulativer Extremereignisse. Die Kombination aus erhöhten Eis- und Schneelasten sowie Starkwindsituationen birgt dabei das größte Schadenspotential für Oberleitungen.
Aktuelle Zahlen der Bundesnetzagentur zu Unterbrechungen der Stromversorgung im Jahr 2017 zeigen, dass ihre Anzahl von 172.504 in 2016 auf 166.560 in 2017 zurückgegangen ist. Die Dauer der Unterbrechungen je Letztverbraucher in der Nieder- und Mittelspannung ist in diesem Zeitraum hingegen von 12,80 auf 15,14 Minuten angestiegen. Besonders hervorzuheben ist hierbei, dass sich die auf (extreme) Wetterereignisse zurückführenden Unterbrechungen im Verteilnetz im Vergleich zum Vorjahr mehr als verdoppelt haben, wohingegen die Übertragungsnetze hiervon weitestgehend nicht betroffen waren.
Für den weiteren Verlauf des 21. Jahrhunderts ist einerseits generell ein Rückgang der Tage zu erwarten, an denen sich aufgrund niedriger Temperaturen eine kritische Eis- und Schneelast ausbildet. Auch Tage mit Schneefall insbesondere in niedrigeren Höhenlagen werden wohl abnehmen. Hinsichtlich der Niederschlagsmengen im Winter zeigen Ergebnisse von Klimaprojektionen andererseits jedoch eine regionale Zunahme, welche sich in potentiell häufigeren und intensiveren Ereignissen widerspiegeln können.
Ein weiteres Gefährdungspotenzial geht sowohl von Flusshochwassern als auch von Sturzfluten in Folge von extremer auftretenden Starkregenereignissen aus. So können Mastfundamente unterspült werden oder es kann sich eine hohe Bodenfeuchte negativ auf die Standfestigkeit auswirken. Umspannwerke oder Transformator-Stationen können insbesondere in der Nähe von Fließgewässern oder morphologisch tiefergelegenen Bereichen zunehmend durch Überflutungen betroffen sein. Gleichzeitig sind beispielweise für Norddeutschland mehr Starkwindereignisse sowie eine erhöhte Sturmaktivität zu erwarten.
Durch die im Rahmen der Energiewende weiter zunehmende Bedeutung erneuerbarer Energien ist auch zu erwarten, dass sich die klimawandelbedingte Anfälligkeit der Energieversorgung entsprechend verändern wird. Dabei ist vor allem die starke Wetterabhängigkeit der regenerativen Energien hervorzuheben. Eine besondere Herausforderung für ein Stromsystem mit hohen Anteilen fluktuierender erneuerbarer Energien kann sich aufgrund von Schwachwind beziehungsweise Flauten und wetter- oder jahreszeitbedingter Dunkelheit ergeben. Insbesondere ist dies dann zu erwarten, wenn die Stromerzeugung aus Wind- und Solarkraft auch über einen längeren Zeitraum hinweg gering ist und kurz- und mittelfristige Flexibilitätsoptionen wie Speicher und Lastmanagement an die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit gelangen. In diesem Fall wird von einer sogenannten „Dunkelflaute“ gesprochen. Tritt dies im Winter auf, trifft ein längerfristig geringes Dargebot erneuerbarer Energien auf eine witterungsbedingt besonders hohe Nachfrage nach Energie, was auch als „kalte Dunkelflaute“ bezeichnet wird. Zu zukünftigen Ausprägungen dieser besonderen Situationen sind wissenschaftlich derzeit jedoch noch keine belastbaren Aussagen ableitbar.
Politische und unternehmerische Herausforderungen
Insgesamt ist festzustellen, dass die zu erwartenden Auswirkungen des Klimawandels auf den Energiesektor in unterschiedlichen Bereichen schon jetzt noch stärker Berücksichtigung finden sollten – sowohl auf der Ebene einzelwirtschaftlicher Optimierungen von Unternehmensstandorten und Kraftwerken als auch bei anstehenden Infrastrukturmaßnahmen im Rahmen der Energiewende.
Insbesondere sollte die Transformation der Energiesysteme auch zur Beseitigung entsprechender Schwachstellen und letztlich zur langfristig klimawandelangepassten Auslegung der Infrastruktur genutzt werden. Ein zentraler Schlüssel liegt hierbei auch in der Ausgestaltung entsprechender Regulierungen und weiterer politischer Rahmenbedingungen. Hier gilt es nicht nur, bestehende Vorgaben auf den Prüfstand zu stellen und weiterzuentwickeln, sondern auch neue Wege zu gehen.
Für die Brennstoffbevorratung beispielsweise werden in den bisherigen rechtlichen Rahmenbedingungen – wie der Verordnung über die Brennstoffbevorratung von Kraftwerken (Kraftwerksbevorratungs-Verordnung) – Aspekte der Anpassung an die Folgen des Klimawandels noch nicht berücksichtigt. Grundsätzlich ist zu erwarten, dass hier insbesondere mögliche Einschränkungen der Transportlogistik – beispielsweise aufgrund von Extremwetterereignissen, die die Straße für Tankwagen unbefahrbar machen – eine zentrale Rolle spielen und entsprechend zu berücksichtigen sind. Zudem wäre es denkbar, spezifische Anreize für Investitionen in eine auch unter Berücksichtigung zunehmender klimawandelbedingter Einflüsse widerstandsfähigere und sichere Infrastruktur in die entsprechende Anreizregulierungsverordnung (Verordnung über die Anreizregulierung der Energieversorgungsnetze – AregV) zu integrieren. Eine weitere Möglichkeit ist die Einführung neuer beziehungsweise die Erweiterung bestehender Berichtspflichten für Betreiber kritischer Energieinfrastrukturen zur Einschätzung von – und insbesondere auch dem Umgang mit – heutigen und zukünftigen Risiken und Chancen eines sich ändernden Klimas. Einen Anknüpfungspunkt bietet hier die Pflicht von rund 900 Netzbetreibern, jährlich alle in ihren Netzen aufgetretenen Versorgungsunterbrechungen an die Bundesnetzagentur zu berichten. Diese ohnehin bestehende Berichtspflicht sollte dahingehend geprüft werden, inwieweit sie um entsprechende Aspekte der Anpassung an die Folgen des Klimawandels erweitert werden kann.
Zudem ist zu betonen, dass über die auch hier vorgenommene isolierte Betrachtung einer einzelnen Versorgungsinfrastruktur hinausgehend weiterführende Forschungsnotwendigkeiten bestehen. Diesbezüglich ist insbesondere eine erweiterte Systembetrachtung notwendig, die sowohl die Wärme- und Gasversorgung als auch mögliche Wechselwirkungen grundlegend unterschiedlicher Infrastrukturbereiche beinhaltet. Zu nennen ist hier beispielsweise, wie einzelne Komponenten der unterschiedlichen Kritischen Infrastruktur miteinander interagieren und welche auch klimawandelbedingten gegenseitigen Beeinflussungen sich daraus in Form so genannter Kaskaden- oder Dominoeffekte ergeben.
Dieser Beitrag basiert auf der folgenden Publikation, in der sich auch umfassende Literaturhinweise zu den hier angesprochenen Aspekten finden: