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04.03.2013

Klimawandel in Norddeutschland Wie wirkt sich der Klimawandel in Norddeutschland aus? Erfahren sie mehr über die regionale Ausprägung des Klimawandels und die Anpassungsfähigkeit von Ökosystemen und Bevölkerung.

Klimafolgen für den Tourismus an der Nordseeküste

Jedes Jahr fahren etwa 3 Mio. Urlauber an die deutsche Nordseeküste. 65% der Besucher verbringen ihren Nordseeurlaub während des Sommers (Heinrichs und Bartels 2011). Somit könnte in erster Linie die erwartete Verlängerung der Sommersaison positive wirtschaftliche Effekte in der Tourismusbranche mit sich bringen, denn insgesamt könnte sich die Badesaison bis zum Jahr 2100 um 60 Tage verlängern (Heinrichs und Bartels).
 Siehe: "Auswirkungen des Klimawandels auf die Ökosysteme der Nordsee"

Regionale Klimaszenarien weisen darauf hin, dass an der Nordseeküste zwar die Sommertagestemperaturen wärmer werden können, mit einer Häufigkeitszunahme der Tage mit Hitzestress jedoch nicht zu rechnen ist (Heinrichs und Bartels 2011). Seit Mitte der achziger Jahre wird zudem ein Anstieg der Wassertemperaturen verzeichnet, so dass immer häufiger die Möglichkeit zum Baden gegeben ist.

Bislang dominiert an der Nordseeküste der Bade- und Strandtourismus. Daher sind den Besuchern der Nordseeküste gerade Sonnenschein und blauer Himmel in ihrem Urlaub sehr wichtig. Obwohl es an der Nordseeküste im Sommer künftig wärmer werden wird, bedeutet dies jedoch nicht gleichzeitig eine Zunahme der sommerlichen Sonnenscheindauer.
 Nordseeküste: Mögliche Änderung der Sonnenscheindauer im Sommer bis Ende des 21. Jahrhunderts

© Insa Meinke

© Insa Meinke

Mögliche Anpassungsstrategien, die touristische Regionen weiter wettbewerbsfähig halten sollen, schlagen deshalb eine Stärkung klimaunabhängiger Angebote wie zum Beispiel Indoor-Spielhallen, Wellness etc. vor.

Negative Auswirkungen des Klimawandels auf den Nordseetourismus werden vor allem durch den Meeresspiegelanstieg und durch höhere Wellen erwartet, die den Strand verkleinern und abtragen können. Dies würde sich direkt auf den Strandtourismus auswirken und könnte touristische Infrastrukturen entlang der Küsten beschädigen (Heinrichs und Bartels 2011).
 Siehe: "Auswirkungen des Klimawandels auf die Ökosysteme der Nordsee"

© Insa Meinke

© Insa Meinke

Zudem könnten die bis Ende des 21. Jahrhunderts erforderlichen Küstenschutzmaßnahmen und die ökonomischen Interessen der Tourismusbranche zu Nutzungskonflikten an der Nordseeküste führen. Eine weitere für den Tourismus negative Folge des Klimawandels wäre eine Begünstigung toxischer Algen in der Nordsee. Gäste könnten hierdurch unter Atemnot und Muschelvergiftung leiden (Heinrichs und Bartels 2011). Zudem könnten mehr Quallen die Attraktivität des Standortes für den Badetourismus verringern.

Steigende Touristenanzahlen würden zudem zu einem verstärkten Druck auf die Naturräume führen. Im Rahmen einer nachhaltigen Entwicklung dürfen diese ökologischen Aspekte nicht vernachlässigt werden (Heinrichs und Bartels 2011).

Externe Faktoren, wie steigende Ölpreise, ein verändertes Reiseverhalten (zum Beispiel mehr Kurzreisen, höherer Qualitätsanspruch, individuell zugeschnittene Reisepakete) sowie neue Zielgruppen, die unter anderem durch den demografischen Wandel entstehen könnten, werden die Tourismusbranche zukünftig zusätzlich beeinflussen. Diese Faktoren sollten neben möglichen Klimaänderungen bei der Planung einer nachhaltigen Tourismusentwicklung mit berücksichtigt werden.

Die Frage, welche Bedeutung das Klima in Wechselwirkung zu den genannten externen Faktoren für die Reisenden hat, ist bisher wissenschaftlich nicht ausreichend erforscht worden. Bislang gibt es keine Modellierung, die Klimaszenarien mit sozialwissenschaftlich fundierten Tourismusszenarien systematisch verknüpft (Heinrichs und Bartels 2011).

Klimafolgen für den Tourismus an der Ostseeküste

Merkmale des deutschen Ostseetourismus

Die Ostseeküste ist eines der beliebtesten Reiseziele Deutschlands und verzeichnet in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern jährlich zusammen mehr als 33 Mio. Übernachtungen. Die Angaben zu Tagestouristen schwanken, aber allein in Mecklenburg-Vorpommern zog es 2008 über 45 Mio. Tagesgäste an die Küste.

In beiden Bundesländern spielt der Tourismus somit eine wirtschaftlich bedeutende Rolle und stellt mit mehr als 4% (SH) bzw. 10% (MV) einen wichtigen Teil der wirtschaftlichen Wertschöpfung dar (Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Tourismus Mecklenburg-Vorpommern 2010, Tourismusverband Schleswig-Holstein 2010). Die Attraktivität der Ostseeküste liegt im naturräumlichen Potenzial der Küstenlinie und der in vielen Ferienorten gut ausgebauten touristischen Infrastruktur. Den Schwerpunkt bildet in beiden Bundesländern der Küstentourismus, da der Strand als direkter Kontaktbereich zwischen Meer und Küste und das Meer als Wassersportrevier die Hauptattraktionen für Besucher darstellen. Ergänzt wird das strand- und badetouristische Angebot durch das städte- und kulturtouristische Angebot in maritimen Hansestädten wie Lübeck, Wismar oder Stralsund.

Abhängigkeit vom Klima

Der Tourismus gilt aufgrund seiner starken Abhängigkeit von natürlichen, wirtschaftlichen, politischen und sozialen Rahmenbedingen sowie seinen Querverbindungen zu vielen anderen Wirtschaftsfeldern als ein veränderungssensibler Wirtschaftssektor (Scott, Hall, Gössling 2012).

Ein bedeutender Faktor zur Veränderung touristischer Rahmenbedingungen ist der Klimawandel: Auch wenn die Welttourismusorganisation UNWTO den Tourismus in gemäßigten Breiten aufgrund von Temperaturzunahme und möglicher Saisonverlängerungen als potenziellen Gewinner des Klimawandels sieht (UNWTO 2008), ist es für die Ostseeküste durchaus von Relevanz, sich auf potenzielle Veränderungen einzustellen. Veränderte klimatische Bedingungen bedeuten für den Tourismus eine Herausforderung, denn die Attraktivität von Tourismuszielen wird wesentlich durch das vorherrschende Klima mitbestimmt.

Die Wahrnehmung „guten Wetters“ durch Touristen ist jedoch subjektiv: So sind Sonne und Wärme für die meisten Badegäste wünschenswert und gleichzeitig für viele Aktivurlauber nur in Maßen attraktiv; starker Wind ist für Radfahrer hinderlich, für Segler und Windsurfer aber eine wesentliche Voraussetzung für einen gelungenen Urlaub. Die Einschätzung von Chancen und Risiken direkter klimatischer Veränderungen für den Ostseetourismus ist deshalb nur bedingt großräumig möglich und bedarf in der Regel eines deutlich kleineren, regionalen und sektoralen Maßstabes. Klimaveränderungen werden vielfach erst dann zu Klimafolgen, wenn ihr regionaler und sektoraler Einfluss interpretiert wird.

Herausforderungen durch den Klimawandel

Neben den direkten Auswirkungen der Veränderungen von Temperatur und Niederschlag spielen vor allem auch deren nachgeordnete Auswirkungen für den Tourismus an der Ostsee eine Rolle. Wärmere Sommertemperaturen von Luft und Wasser könnten dieses Reiseziel z.B. im Vergleich zu südeuropäischen Zielen, in denen mit zunehmenden Hitzeperioden und -folgen zu rechnen ist, attraktiver machen. Folgen wären eine Verschiebung von Tourismusströmen und ein damit verbundener Anstieg der Besucherzahlen in der Hauptsaison sowie eine Ausdehnung der Saisonzeiten auf Frühling und Herbst. Diese Folgen hätten das Potenzial, den touristischen Nutzungsdruck im sensiblen Küstensystem weiter zu verstärken. Kapazitätsgrenzen werden im Sommer an der deutschen Ostsee bereits heute an einigen Orten erreicht – in Zukunft könnte es daher, verstärkt durch den Klimawandel, zu massentouristischen Erscheinungen kommen (Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Tourismus Mecklenburg-Vorpommern 2010), die für die heute als attraktiv empfundene Ursprünglichkeit der Region ein Risiko darstellen.

Auch die Gewässerqualität der Ostsee kann von indirekten Auswirkungen betroffen sein. Höhere Wassertemperaturen und aufgrund von Niederschlagsverschiebungen geänderte Eintragsmengen durch Flüsse in die Ostsee können das Wachstum von Algen, Seegras und Quallen beeinflussen und die Vermehrung von Bakterien fördern, die unter Umständen auch für den Menschen ein Risiko darstellen. Sowohl die durch Touristen wahrgenommene als auch die messbare Qualität küstennaher Badegewässer könnten sich dadurch verschlechtern (Roijackers, Lürling 2007). Zwar ist mit der Etablierung des Baltic Sea Action Plans aus dem Jahr 2007 ein wichtiges Instrument zur Regulierung von Nährstoffeinträgen in die Ostsee geschaffen worden, Rückkopplungseffekte mit klimatischen Veränderungen und möglichen Verschiebungen im Artengefüge des Ökosystems Ostsee (Einwanderung neuer Arten, Gefährdung vorhandener Arten) sind jedoch noch nicht ausreichend erforscht.

Eine weitere Folge veränderter Klimaparameter, die die ansässige Tourismusbranche zunehmend besorgt, ist die mögliche Bedrohung der touristisch genutzten Küstenlinie. Dabei ist eine verstärkte Erosion der Steilküsten und des Strandes an der deutschen Ostseeküste eine mögliche Konsequenz des Klimawandels; Meeresspiegelanstieg, die Zunahme der Häufigkeit oder Intensität von Extremwetterereignissen wie Sturmfluten oder Starkregen und mögliche Strömungs- und Wellenveränderungen können dem Küstenstreifen und damit der wichtigsten Ressource des Ostseetourismus intensiv zusetzen (Fröhle et al. 2011).

Abb. 14: Hochwasser an der Ostsee © Mossbauer (2009)

Abb. 14: Hochwasser an der Ostsee © Mossbauer (2009)

Behördlicher Küstenschutz alleine sichert den Kommunen nicht zwangsläufig den touristisch genutzten Strand vor privaten Hotels oder Ferienwohnungen. In Zeiten knapper öffentlicher Ressourcen und zunehmenden Drucks auch von der Meeresseite her, könnte daher zukünftig auf die Küstenorte die Herausforderung zukommen, eigene Finanzierungskonzepte für den Stranderhalt zu entwickeln.

Anpassungsoptionen und -strategien

Die Möglichkeiten zur Anpassung bedürfen in der Regel einer regionalen Analyse und orientieren sich an der individuellen Beschaffenheit der einzelnen Reiseziele. Schwierig bei Aussagen dazu ist jedoch, dass der Klimawandel nicht der einzige Einflussfaktor auf die touristische Nachfrage ist. Veränderungen in Einkommensstrukturen, gesellschaftliche und politische Entwicklungen, Moden und Trends sowie andere Faktoren beeinflussen neben dem Klimawandel ebenso die Nachfrage und Tourismusströme und werden ihrerseits wiederum vom Klima beeinflusst (Scott, Hall, Gössling 2012).

Viele Teile der touristischen Leistungskette, vom Gast bis hin zu Reiseveranstaltern und Transportunternehmen, können von negativen Einflüssen des Klimawandels betroffen sein. Man orientiert sich um und trifft neue Entscheidungen für oder gegen ein Reiseziel. Verlieren diese an Attraktivität, werden sie nicht mehr bereist oder angeboten. Viele Reiseziele, und damit auch die Küstenkommunen an der Ostsee, müssen deshalb bauliche, strategische und organisatorische Maßnahmen ergreifen, um auch unter veränderten klimatischen Vorzeichen als attraktives Urlaubsziel wahrgenommen zu werden (Becken, Hay: 2007).

Dabei stehen sie jedoch vor der Frage, in welchen Zeitfenstern gehandelt werden muss und welches Zukunfts-Klimaszenario aus der Spannbreite des IPCC-Reports ihnen am realistischsten erscheint. Besonders die zeitliche Ausdehnung der Planungshorizonte kollidiert dabei oft: Während die rein touristische Planung sich vielfach von Saison zu Saison oder maximal auf wenige Jahre erstreckt, beziehen sich die wissenschaftlichen Aussagen zum Klimawandel mit Szenarien über Dekaden oder gar Jahrhunderte auf einen deutlich langfristigeren Zeithorizont.

Generell sind daher auch im Tourismus sogenannte „No-regret“-Maßnahmen sinnvoll, die nicht nur eine Anpassung an Klimaänderungen, sondern auch eine davon unabhängige, nachhaltig ausgerichtete Attraktivitätssteigerung zum Ziel haben. So muss aus touristischer Sicht einem pozentiell steigenden Nutzungsdruck durch verstärktes Wachstum Rechnung getragen werden.

Die Herausforderung liegt für Kommunen und Verbände vor Ort dabei in der Erarbeitung nachhaltiger Wachstumskonzepte. Ein Einbezug von Klimaanpassungsaspekten kann dabei beispielsweise beim Bau von Küstenschutzmaßnahmen, der Verkehrsleitplanung (z.B. Verteilung des Verkehrs außerhalb der Küstenorte, ggf. ergänzt mit dem Ausbau öffentlicher Verkehrsanbindungen) oder dem Ausbau der Infrastruktur, wie Ver- und Entsorgung, Alternativangeboten in Küstennähe (z.B. Schwimmbäder oder andere Freizeiteinrichtungen) möglich gemacht werden. Für diese Planungsprozesse müssen alle Beteiligten über mögliche Folgen des Klimawandels – auch über Spannbreiten und Unsicherheiten – informiert werden.

Entscheidungsträger im Tourismus benötigen glaubwürdige und belastbare Information. Das aktuelle Hauptaugenmerk touristischer Klimaanpassung liegt deshalb bislang weniger auf der Umsetzung praktischer Anpassungsmaßnahmen, sondern vielmehr auf der Vermittlung von Informationen, der Etablierung von Netzwerken und Kommunikationsketten und der Entwicklung strategischer Planungskonzepte. Diese Werkzeuge können bereits heute für den Umgang mit kurzfristig auftretenden Ereignissen (Blaualgenblüten, vermehrtem Auftreten problematischer Keime aber auch harmloser Quallen oder Strandanwurf) genutzt werden und darüber hinaus die Basis für die Etablierung langfristiger Anpassungsstrategien bilden.

Abb. 15: Warnemünde 2012 © Weisner

Abb. 15: Warnemünde 2012 © Weisner

Von großer Bedeutung ist dabei die Vermittlung der Dynamik, die Klimaanpassung bedeutet. Sich verändernde Bedingungen machen Klimaadaption zu einem Prozess, nicht zu einem Zustand, der an einem zukünftigen Zeitpunkt erreicht ist und gehalten werden kann. Klimaanpassung im Küstentourismus der Ostsee muss daher stetig einbezogen werden, um die Vulnerabilität des Sektors zu minimieren und mögliche Chancen bestmöglich zu nutzen.
 Weiterführende Informationen zu Klimafolgen an der Ostseeküste finden Sie in der Internetpräsenz des KLIMZUG-Verbundprojektes RADOST

Autoren

Christian Filies
Die Küsten-Union Deutschland (EUCC-D), Warnemünde

Inga Haller
Die Küsten-Union Deutschland (EUCC-D), Warnemünde