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11.08.2015

Klimawandel, Migration und Sicherheit Der Klimawandel bringt nicht nur Ökosysteme durcheinander, er bedroht auch die Lebensgrundlage vieler Menschen.

Migration als Beitrag zur Anpassung an den Klimawandel

Um Konflikte zu verhindern, die mit Klimawandel und Migration zusammenhängen, ist es wichtig, die zwiespältige Darstellung von MigrantInnen als Bedrohung einerseits und Opfer andererseits zu überwinden. Vom Klimawandel betroffene Gemeinschaften sind gesellschaftliche Akteure, die ihre Lebensumstände aktiv gestalten und verändern, um gemeinsame Lösungen zu finden. Ein konstruktiver Ansatz stärkt die positiven Verflechtungen zwischen der Migration, der menschlichen Entwicklung und der Anpassung an den Klimawandel. Migration wird als komplexer, multikausaler Prozess verstanden, in dem Umweltfaktoren nicht von anderen Treibern der Migration abgekoppelt werden können. Diese Sichtweise hebt die Herausforderungen der Migration ebenso hervor wie die Chancen für die Entwicklung und die Anpassung an den Klimawandel und zielt darauf ab, das Verständnis für die Bedingungen zu verbessern, unter denen "Migration als Notfall" in "Migration als Chance" übergehen kann.

Rahmenbedingungen von Migration für Anpassung

© UNHCR/B. Bannon

© UNHCR/B. Bannon

Die Auswirkungen der globalen Erwärmung auf menschliche Gemeinschaften hängen von deren Verletzlichkeit ab, die wiederum eine Funktion der Exposition und Empfindlichkeit gegenüber dem Klimawandel und den Anpassungskapazitäten ist. Anpassung ist hier gemeint als "Einstellung von natürlichen oder menschlichen Systemen auf tatsächliche oder erwartete klimatische Einflüsse oder deren Folgen, um den Schaden zu mindern oder günstige Gelegenheiten auszunutzen" (IPCC 2007: 869). Eine Betrachtung der Chancen bietet die Möglichkeit, innovative Strategien zu entwickeln, die die Anpassungsfähigkeit und die Lebensbedingungen der Herkunftsgemeinden stärken. Dies würde nicht nur technische Innovationen beinhalten, die die nachhaltige Bewirtschaftung der natürlichen Ressourcen erleichtern, sondern auch institutionelle Innovationen, die individuelle und gemeinschaftlichen Aktionen und Interaktionen ausgestalten, organisieren und koordinieren (Agrawal 2009; Adger et al. 2009; Mearns & Norton 2009). Damit verbunden ist das Konzept der sozialen Resilienz, das heißt die "Fähigkeit von Gemeinschaften, externe Veränderungen und Belastungen zu dämpfen, während die Nachhaltigkeit ihrer Lebensgrundlagen aufrechterhalten wird" (Adger et al. 2002: 358; freie Übersetzung). Resiliente Gemeinden sind handlungsfähige Akteure, die ihre Umwelt beeinflussen, zukünftige Belastungen voraussehen und ihnen begegnen und sich entsprechend ihrer Motivationen und Fähigkeiten erneuern. Die Kombination aus "Dämpfung", Widerstand und Erneuerung im Konzept der sozialen Resilienz erweitert die reaktive Natur der Anpassung in Richtung auf vorausschauendes Lernen (Tschakert & Dietrich 2010).

Diese Konzepte sind bedeutend für eine Erweiterung der vielschichtigen Beziehung zwischen Migration und Anpassung an den Klimawandel, die überwiegend im Rahmen der Prävention oder Bewältigung von Klimarisiken untersucht worden ist. Während übliche Strategien Anpassungsmaßnahmen benutzen, um erzwungene Migration zu verhindern, wird Migration zunehmend als eine legitime Anpassungsstrategie von Gemeinden angesehen, die den Klimawandel nicht bewältigen können (Black et al. 2011). In Ergänzung zu diesen Ansätzen untersuchen wir die Möglichkeit der Migration für Anpassung, bei der soziale Netzwerke von MigrantInnen helfen können, Sozialkapital aufzubauen, um die soziale Widerstandsfähigkeit der Ursprungsgemeinden zu erhöhen und überregionale Innovationen durch den Transfer von Wissen, Technologien, Geld und anderen Ressourcen anzustoßen (Scheffran et al. 2012). Diese könnten die Flexibilität, Vielfalt und Kreativität der Gemeinden bei der Bewältigung von Klimafolgen erhöhen und neue Wege für Maßnahmen eröffnen, die den Lebensunterhalt der Haushalte auf neue Produktionsbereiche umstellen, die Anpassung an den Klimawandel unterstützen und soziale Resilienz in den Ursprungsgemeinden aufbauen.

Die Fähigkeiten und Transfers von Ressourcen in Migrantennetzwerken, einschließlich Wissen, Geld und Menschen, können in den Heimatgemeinden zu technischen und institutionellen Innovationen führen, die Klimaanpassung, nachhaltige Entwicklung und Friedensförderung unterstützen. Die Einnahmen aus Geldsendungen von MigrantInnen in die Heimat (Rimessen) haben direkte Auswirkungen auf die Ressourcenausstattung, das wirtschaftliche Wohlbefinden und die Resilienz der Ursprungsgemeinde (Adger et al. 2002). In vielen Ländern sind junge, professionell ausgebildete Rückkehrer an erfolgreichen Umweltinitiativen beteiligt. Sie sind mit den lokalen sozio-ökologischen Bedingungen der Heimat vertraut und befinden sich in einer günstigen Position, um ihre Gemeinden zu unterstützen. Der Einsatz und Transfer von Technologien fördert die Verbesserung der Ressourceneffizienz, neue Formen der Nutzung natürlicher Ressourcen und Pflanzensorten, die nachhaltige Energieversorgung und das Katastrophenmanagement. Dieser Ansatz trägt sowohl zur Verbesserung der Resilienz gegenüber dem Klimawandel als auch zu einem Wiederaufbau und einer Sanierung von Regionen nach Konfliktsituationen bei. Dies kann negative Wechselwirkungen zwischen Klimawandel und Konflikten verhindern und in beiden Problembereichen positive Synergieeffekte herbeiführen (Gioli et al. 2013).

Verschiedene Bedingungen beeinflussen Migration für Anpassung (Scheffran et al. 2012).

  1. Gemeinschaftseinkommen und Rimessen von MigrantInnen: Geldsendungen von MigrantInnen sind eine wichtige Einnahmequelle in Entwicklungsländern und haben deutlich zugenommen (World Bank 2011, 2015). Damit verbundene Investitionen bieten Chancen für die Entwicklung und die Umwelt, wenn diese zum Erhalt des natürlichen Kapitals oder zum Schutz gegen klimabedingte Risiken verwendet werden. Rimessen können jedoch auch die Einkommensungleichheit verschärfen und passive oder nicht-produktive Gemeinden fördern, wenn diese die Einnahmequelle für den Konsum und weniger als Investition nutzen (de Haas 2006; Adger et al. 2002), was aufgrund von Multiplikatoreffekten nicht unbedingt negativ ist.
  2. Fähigkeiten, Lebensbedingungen und Entwicklungsmöglichkeiten: Die von MigrantInnen erworbenen Ressourcen und menschlichen Fähigkeiten sind für Entwicklung und eine nachhaltige Lebensweise wesentlich (Sen 1985; Valdes-Rodriguez & Vazquez Perez-2011). Die neue ökonomische Theorie der Arbeitsmigration (Taylor 1999) argumentiert, dass Migration aufgrund eines "Nord-Süd"-Transfers von Kapital ein erhebliches Innovationspotenzial besitzt und traditionelle Gemeinschaften mit modernem Wissen und Bildung konfrontiert (de Haas 2006: 567). Es gibt jedoch Bedenken, dass ein Verherrlichen der Migration als Entwicklung durch Selbsthilfe von unten "die Aufmerksamkeit von strukturellen Zwängen und der wichtigen Rolle von Staaten bei die Gestaltung günstiger Bedingungen für positive Entwicklungsfolgen der Migration ablenken" könnte (de Haas 2010: 227).
  3. Vielfalt, Resilienz und Sozialkapital in Migrantennetzwerken: In Notlagen verändern betroffene Gemeinden ihre Lebensweise, um alternative Handlungswege zu verfolgen, wie beispielsweise die Intensivierung der Landwirtschaft und die Aufnahme nicht-landwirtschaftlicher Tätigkeiten (McDowell & de Haan 1997). Soziale Verbindungen und Netzwerke sind wichtige Elemente des sozialen Kapitals. Sie "binden die Migranten an die Heimatgemeinden" (Conway & Cohen 1998: 33) und ermächtigen lokale Gemeinden, ihre Resilienz zu stärken. Zurückgekehrte MigrantInnen können bestehende soziale Netzwerke in ihren Heimatregionen wiederbeleben und den „Brain-Drain“ von Wissen und Erfahrung wieder rückgängig machen. Netzwerke, die während der Migration aufgebaut wurden, bieten einen Zugang zu Ressourcen, die die Menschen und das soziale und kulturelle Kapital der Heimatgemeinden bereichern (Woodruff & Zenteno 2007).
  4. Institutionen, Kooperation und Entwicklungszusammenarbeit: Governance und institutionelle Mechanismen helfen, Hindernisse zu überwinden und innovative Lösungen für den Migrationsprozesses zu ermöglichen, wie Selbsthilfe, soziale Regeln, eine gemeinsame und nachhaltige Bewirtschaftung. Diese dienen als Grundlage für die Zusammenarbeit zwischen Regierungen, Bevölkerungsgruppen und Unternehmen. Zur Aufrechterhaltung der Resilienz muss das soziale Kapital der Bewohner im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit zusammengeführt werden. Eine gemeinsame Entwicklung (co-development) födert partizipative Ansätze, die von der Basis (bottom-up) durch Einwandererorganisationen initiiert werden (Østergaard-Nielsen 2010). Damit verbundene institutionelle Prozesse bündeln die Beiträge der Diaspora im Zuge von Wissenstransfer, Geldüberweisung und Rückwanderung in Maßnahmen zur Stärkung der Resilienz der Ursprungsgemeinden. Diese Projekte werden von den MigrantInnen finanziert oder von staatlichen und nicht-staatlichen Institutionen und privaten Einrichtungen der Ursprungs- und Zielländer kofinanziert. In der Vergangenheit war es problematisch, wenn westliche Länder die Entwicklungszusammenarbeit benutzten, um die Diaspora zu instrumentalisieren und Migration zu regulieren, indem eine Projektförderung mit Rückwanderungsprogrammen und Rückübernahmeabkommen für “irreguläre“ Einwanderer verknüpft wurde (Panizzon 2008). Eine sinnvolle Einwanderungspolitik könnte den Austausch von Ressourcen zwischen Ursprungs- und Zielgebieten fördern und versuchen, die gegenseitigen Vorteile beim Aufbau von Sozialkapital, Lebensgrundlagen und Resilienz für die MigrantInnen und ihre Ursprungsgemeinden zu erhöhen.

Schlussfolgerungen

Migration ist eine Anpassungsmaßnahme, die den Stress in den Brennpunkten des Klimawandels verringert und den betroffenen Regionen Chancen und Ressourcen eröffnet, die das Sozialkapital, die Lebensbedingungen und die Resilienz ihrer Ursprungsgemeinden stärken sowie zur Entwicklung innovativer Verfahren zur Anpassung an den Klimawandel beitragen können. Projekte, die durch Migrantenorganisationen initiiert wurden und betrieben werden, können erfolgreich sein, wenn sie gemeinsam durch institutionelle Rahmenbedingungen und die Entwicklungszusammenarbeit getragen werden, unter Beteiligung staatlicher und nicht-staatlicher Organisationen und Unternehmen in den Ursprungs- und Zielländern. Die Vereinten Nationen können wesentlich zur Unterstützung eines derartigen Institutionalisierungsprozesses beitragen. Das Cancun-Abkommen von 2010 war der erste Schritt einer Berücksichtigung der klimabedingten Migration als politisches Thema auf internationaler Ebene. Innerhalb dieser neuen Rahmenbedingungen wurden die Grundlagen zur Akzeptanz der Migration als eine legitime Möglichkeit der Anpassung gelegt. Würde diese Option ernst genommen, erforderte sie auch finanzielle und institutionelle Mechanismen zur Erleichterung einer „Migration als Anpassung“. Mit zunehmender Relevanz des Klimawandels kann die Strategie der „Migration für Anpassung“ über traditionelle Mobilitätsmuster hinaus an Bedeutung gewinnen - vor allem in der Sahelzone, wo der Drang zur Migration seit den 1970er Jahren, wahrscheinlich als Reaktion auf die anhaltenden Dürren, angestiegen ist. Für diejenigen, die sich zu diesem Schritt entschließen, sind seitens der internationalen Gemeinschaft unterstützende Maßnahmen erforderlich, die MigrantInnen als tatkräftige Akteure behandeln, die ihre Lebensgrundlagen eigenständig verbessern.

Siehe auch Fallstudie West Sahel
Autoren

Prof. Dr. Jürgen Scheffran
Research Group Climate Change and Security
Universität Hamburg

Dr. Elina Marmer
Interkulturelle und International Vergleichende Erziehungswissenschaft,
Universität Hamburg

Dr. Papa Sow
Zentrum für Entwicklungsforschung
Universität Bonn

Referenzen, weiterführende Literatur