Schrumpfende Inseln und klimainduzierte Wanderung im Pazifikraum
“Ein Volk aus seiner angestammten, natürlichen Umgebung zu vertreiben oder umgekehrt ihm sein Land zu zerstören (...), heißt nicht nur, ihm seine traditionellen Lebensweise zu nehmen, sondern auch und in noch viel bedeutenderem Maße, ihm seine Ahnen, seine Geschichte, seine Identität und seinen grundlegenden Anspruch auf Existenzberechtigung zu entziehen.“ (Epeli Hau'ofa, eigene Übersetzung)
Obgleich sich der tongaische Wissenschaftler Epeli Hau'ofa (2000, 468-469) hier nicht explizit auf den Klimawandel bezieht, kommt es in den Small Island Developing States (SIDS) zu einer raschen Verschlechterung der Lebensbedingungen infolge steigender Temperaturen, zunehmender Veränderungen der Wetterbedingungen und einer erhöhten Frequenz katastrophaler Wetterereignisse. Die „versinkenden“ Pazifik-Inseln werden als Auslöser einer zukünftigen „menschlichen Flutwelle" dargestellt (Bogardi and Warner 2009; Christian Aid 2007). Die meisten Spekulationen stützen sich dabei auf wenig belastbare Fallstudien und grobe Verallgemeinerungen über „die Inseln” als verwundbare „geografische Objekte" (Barnett und Campbell 2010), und sind abgeleitet aus vereinzelten Informationen, ohne Bezug zu den spezifischen geomorphologischen, ökologischen, kulturellen, historischen, wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen (einen guten grundsätzlichen Überblick über Klimawandel und Migration in der Südsee gibt Burson 2010).
Mehr als 600 Menschen mussten nach einer Springflut am 3. März 2014 von Majuro (Marshall Islands) evakuiert werden. © OCHA Pacific
Die Besiedlung und erfolgreiche Nutzung dieses „Meeres der Inseln" (Hau'ofa 1994) erzeugte eine Kombination von Wanderungsbewegungen und Ortsverbundenheiten, welche ökologischen Druck erleichtern konnte. Ungleich verteilte Umweltbedingungen, Dürren und Stürme wurden entlang von Klanstrukturen oder durch Handels- und Tributsysteme unter den verschiedenen Inseln bewältigt (vgl. Alkire 1965). Durch eine den politischen und ökonomischen Kräften folgende Koloniallogik umgestellt (vgl. Lieber 1977), bieten die heutigen transnationalen Netzwerke den in der Heimat Verbliebenen Unterstützung in Form von Gesundheitsfürsorge, Ausbildung, wirtschaftlichen und sozialen Transfers (vgl. Hezel 2013).
Wie in der indigenen Seefahrt üblich, lautet die wegweisende Devise, sich an der zurückgelassenen Insel zu orientieren, und auch die heutige Mobilität hat ihre Wurzeln in der dauerhaften Bindung zu den Heimatinseln (vgl. Lee und Francis 2009). Regelmäßige Hin- und Rückbesuche, ein lebhafter Austausch über soziale Medien, versendete Kühlboxen, gefüllt mit Nahrungsmitteln von den Inseln, und die gängige Praxis, ein Familienmitglied als Hüter des Landes zurückzulassen, zeugen von dem anhaltenden Gefühl der „Zugehörigkeit" der Inselbewohner zur Gemeinschaft. „Zugehörigkeit" in Ozeanien begründet sich in den Beziehungen zu den Verwandten und dem Land und zeigt sich letztendlich in einer Rückkehr nach dem Tod, um in seinem Heimatland und unter Angehörigen begraben zu werden. Wie also beeinflusst der Klimawandel die Vorstellungen von der pazifischen "Zugehörigkeit"? Wird die Identität mit der Erosion der Inseln weggeschwemmt oder kann der Landverlust durch eine aktive Diaspora der Inselbewohner am Pazifikrand kompensiert werden? Im Folgenden wird der kulturelle Raum der Klimamobilität im Pazifik beschrieben, um anschließend auf bestehende Mobilitätsregime und einzelne Inselbeispiele einzugehen.
Land ist wichtig für die individuelle und kollektive Selbstwahrnehmung der Inselbewohner im Pazifikraum (vgl. Campbell 2010). Insbesondere ältere Leute erklären, dass sie eher mit ihrer Insel untergehen wollen als diese zu verlassen. Jüngere Menschen dagegen wünschen sich häufig, den physischen und kulturellen Einschränkungen ihrer Inselwelt zu entfliehen und sich in die "Welt da draußen" hinaus zu wagen. Das Geschlecht spielt ebenfalls eine Rolle. In Chuuk, dem bevölkerungsreichsten Staat der vier Föderierten Staaten von Mikronesien (FSM), ist die Vorstellung von Fortbewegung/Verlassen und Verankerung/Bleiben mit Geschlechterrollen verbunden. Sprachlich kommt dieses in den einheimischen Begriffen „feefinitiw“ und „mwááninó“ zum Ausdruck. „Feefinitiw“ bedeutet, dass Frauen, die in der Erbfolge der mütterlichen Linie Land erben, bleiben, um sich um dieses zu kümmern, während „mwááninó“ darauf hindeutet, dass Männer sich von dem Land entfernen, um zu fischen, Handel zu treiben und mit Verwandten auf anderen Inseln in Verbindung zu treten. Daher überträgt eine Mutter, wenn sie stirbt, nicht nur die materielle Seite des Landes an ihre Töchter, um deren wirtschaftliche Grundlage zu sichern, sondern überliefert auch Geschichten der Verwandten, Stammbäume und traditionelles Umweltwissen. Ein weiterer wichtiger Faktor im Umgang mit Klimawandel im Pazifikraum ist das Christentum. Viele Inselbewohner glauben an das Versprechen Gottes an Noah, die Erde kein weiteres Mal zu überfluten, und überantworten ihr Schicksal und die Verantwortung ihrem Glauben. Das heißt beispielsweise, würde Tuvalu evakuiert werden, wäre die Bedeutung vor allem in der „existenziellen Tragik des Verlustes von Tuvalu als Gottes Platz für die Bewohner von Tuvalu" zu finden (Mortreux und Barnett 2009, 110).
Flut in Chuuk 2011 © Hofmann
In Chuuk, wie auch anderswo im Pazifikraum (vgl. Campbell 2010), stehen rund 95 Prozent des Landes unter traditionellem, das heißt gemeinschaftlichen, aber privatem Landbesitz (Hezel 1994). Die restlichen fünf Prozent befinden sich alle auf der Regierungsinsel. Vorherige ausländische Mächte (Spanien, Deutschland, Japan, USA) hatten sie für eigene Zwecke genutzt. Jetzt beherbergen diese das Krankenhaus und andere staatliche Institutionen. Eine Umsiedlung von Menschen innerhalb der kulturell miteinander verbunden Inselgruppen müsste daher von verwandtschaftlichen Gruppen und nicht von der Regierung ausgeführt werden. Die Verpflichtung, mit Angehörigen zu teilen und diese zu beherbergen, kann jedoch selbst auf den größeren vulkanischen Inseln schnell zu einer Belastung werden, wenn die natürlichen Ressourcen, auf denen die Existenz der Menschen beruht, durch Übernutzung oder Umweltschäden schwinden. Außerdem sind diese Inseln auch kein „sicherer Hafen", sondern sind ebenso anfällig für Naturkatastrophen, wie Taifune, Erdrutsche oder Dürren.
Im extremsten Fall könnten die Inselbewohner staatenlos werden (vgl. Blitz 2011). Die meisten Inseln werden jedoch unbewohnbar werden, lange bevor sie komplett verschwinden. Während die Rechtswissenschaftlerin Jane McAdam (2010) darauf hinweist, dass ein Bevölkerungsmangel und eine ineffektive Regierung dem „“Verschwinden" der SIDS vorausgehen werden, schlägt Maxine Burkett (2011) eine "Ex-Situ Nation"-Kategorie zur Schaffung staatlicher Rahmenbedingungen vor, die es ermöglicht, Handlungsvollmacht über verstreute Menschen in einer post-Klima Ära zu übernehmen. Um dem Verlust staatlicher Befugnisse entgegen zu wirken, möchte der Kiribatische Präsident Anote Tong einen kleinen Regierungsaußenposten auf dem einzigen höher gelegenen Flecken des Staates, auf Banaba Island, schaffen, um den Staat und seine Kontrolle über die Ressourcen zu sichern, die sich innerhalb der 200-Meilen-Zone befinden (McAdam 2010, 126). Andere wiederum sprechen sich für ein Naturschutz- und Meeresschutzgebiet aus, um die Anbindung an ihr angestammten Gebiet aufrecht zu erhalten (Tulele Peisa ny).
Dennoch, wichtiger als die Erhaltung des Staates ist für die I-Kiribati, ihre kulturelle Gemeinschaft und Identität zu bewahren, die wiederum zutiefst mit ihrem Land verbunden ist (McAdam 2010; vgl. Oliver-Smith 2009). Es ist daher wichtig, ein Gleichgewicht zwischen langfristigen Planungen herzustellen, die eine Umsiedlung vorbereiten, und Anpassungsmaßnahmen vor Ort, die diese so lange wie möglich hinauszögern. Während die Inselpolitiker das Geschick ihres Volkes medienwirksam propagieren, verfolgen die einzelnen Staaten verschiedene Strategien. So weist der Präsident der FSM, Manny Mori, darauf hin, dass sie „nirgends hinrennen“ können (Mori 2012). Er wird von anderen Inselregierenden unterstützt, die die Gefahr der Evakuierung inakzeptabel finden (vgl. Mortreux und Barnett 2009; Farbotko 2010). Gleichzeitig aber verlassen Tausende von Inselbewohnern die Inseln, schicken Geldtransfers nach Hause und ermöglichen damit eine Kettenmigration (Hezel 2013).
Im Licht des Gegensatzes von Ortsverbundenheit und Mobilität wird die schrittweise Verlagerung ganzer Familien häufig als erfolgreiche und kulturell einigermaßen akzeptable Anpassungsmaßnahme des Insellebens gesehen, während diejenigen ohne derartige Beziehungen am stärksten gefährdet sind. Selbstbestimmung ist hierbei von entscheidender Bedeutung, aber nicht unbedingt der Schlüssel zum Erfolg, wie das berühmte Beispiel der Carteret-Insulaner zeigt. „Tulele Peisa" bedeutet "Segeln im eigenen Wind" und ist der Name einer NGO, initiiert durch den Ältestenrat der Carterets. Diese versucht, den Umzug der rund 3500 Atoll-Inselbewohner auf die große Insel Bougainville umzusetzen. Traditionelle Abschieds- und Willkommenszeremonien, Austauschprogramme und Mischehen sind Teil der NGO-Strategie. Sie soll den auf das Meer ausgerichteten "Menschen von Carteret bei der Anpassung ihrer andersartigen Lebensweisen auf den Korallenatollen an das Festland von Bougainville" helfen, wo Gartenbau und nicht Fischerei der wichtigste Nahrungsmittelsektor ist (Tulele Peisa ny). Sie bauen dabei auf den Erfahrungen des vorangegangenen Atoll-Umsiedlungsprojektes auf, das in den 1980er Jahren aufgrund einer unzureichenden wirtschaftlichen Sicherheit und damit verbundenen Schwierigkeiten beim Erhalt der sozio-kulturellen Eigenständigkeit fehlgeschlagen ist (O'Collins 1990). Letztendlich kehrten die Menschen aber zu ihrem Atoll zurück, um dort ihre Landansprüche nicht zu verlieren. Genauso sind die ersten Familien des neuen Umsiedlungsprogramms im Jahr 2009 bereits nach ein paar Monaten auf die Atolle zurückgekehrt - nach wie vor aus den gleichen Gründen. Bougainville befindet sich fast vollständig in Kollektiveigentum und das kleine Land, das die katholische Kirche den Carteret-Bewohnern zugewiesen hat, war bei weitem nicht genug. Und trotz der kulturellen Bemühungen der NGO, erwies sich auch die soziale Anbindung als schwierig (Boege 2011).
Aufgrund negativer Assoziationen lehnen die meisten Inselbewohner die Aussicht ab, „Flüchtlinge" zu werden (McAdam 2009; vgl. Bettini 2013), eine Bezeichnung, die der Kern vieler wissenschaftlicher Debatten ist (z.B. Schwarz 2001; Castles 2010; Hugo 2010). Kiribati ist gegen eine Stigmatisierung, möchte vielmehr „mit Würde auswandern" und stellt sich einen Ausbau der bestehenden Migrationsprogramme wie Neuseelands "Pacific Access Category", das "Recognised Seasonal Employment" mit Neuseeland oder die "Kiribati Australia Nursing Initiative" vor. Noch sind diese Programme jedoch auf eine kleine Anzahl von Menschen beschränkt, gelten nur für bestimmte sozio-demographischen Gruppen und erkennen keine Verbindung zwischen Umweltzerstörung und Migration an. Mittlerweile könnte der "brain drain" jedoch Inseleinrichtungen wie Schulen, Gesundheitsversorgungen und Behörden gefährden, lange bevor diese durch Wellen weggespült werden (Barnett und Adger 2003). Für Kiribati sind derartige Migrationssysteme dennoch eine Anpassungsmaßnahme, und die Regierung versucht, diese Möglichkeiten auch über die Region hinaus auszudehnen, zum Beispiel nach Kanada und Kroatien (Klepp 2012, 11). Außerdem verhandelt sie mit Fidschi über Grundstücksverkäufe, um dort Nahrung für Kiribati anzubauen und um rund 500 I-Kiribati anzusiedeln (Klepp 2013, 414). Dies erfolgt wiederum in Anknüpfung an historische Vorgänge. Während der britischen Kolonialzeit wurden Banabaner von den Gilbert-Inseln (Kiribati) nach Rabi (Fidschi) aufgrund irreversibler Umweltschäden durch Phosphatabbau umgesiedelt. In Fidschi halten sie noch bis heute enge Beziehungen zu ihrer Heimatinsel aufrecht (Campbell 2010).
Somit ist eine Erhöhung der Mobilität im Pazifikraum in Folge von Umwelteinflüssen nichts Neues. Noch sind Umweltveränderungen sind auch nicht die einzigen Motive für umfangreiche und langfristige Migrationsbewegungen, die über die Inseln hinausgehen. Die Betrachtungsweise der Inseln als „klein und isoliert“, wie sie bei Medien, Organisationen der internationalen Zusammenarbeit und Wissenschaftlern vorherrscht, schließt dabei auch eine öko-koloniale Dimension mit ein (Farbotko 2010), die zu einer Darstellungder Inselbewohner als Opfer führt, ohne ihre Anpassungsfähigkeiten zu berücksichtigen, die ihr Überleben in den letzten Tausenden von Jahren sichergestellt haben.
Eine ähnliche Sprache wird teilweise aber auch von den Inselregierungen verwendet, um den Klimawandel als „Abfalleimer" benutzen zu können, in den sie nicht nachhaltige Ressourcennutzung und andere lokale Themen abladen und umleiten (Connell 2003). Teilsweise werden die Inseln in der Weltpolitik auch als „big smallness" instrumentalisiert, um den Zufluss von Aufmerksamkeit und Hilfsmitteln zu erweitern (Goldsmith 2015). In Anlehnung an Mortreux und Barnett (2009, 111) sollte daher betont werden, dass „Individuen und Gemeinschaften auf Ereignisse und Informationen reagieren und den Menschen Dinge nicht einfach passieren" (eigene Übersetzung). Die große Herausforderung für die Politik liegt daher darin, Lösungen zu finden, die einen kulturell sensiblen, langfristigen Ausweg in Aussicht stellen und vorbereiten, ohne die derzeitigen Anpassungsbemühungen vor Ort zu behindern. Darüber hinaus sollten bei allen Maßnahmen kulturell bedeutende Entscheidungsträger, die häufig durch Kirchen und nicht durch Regierungen repräsentiert werden, in die Entscheidungsfindung mit einbezogen werden. Am Ende sollte das höchste Ziel sein, den Inselbewohnern im Pazifikraum zuzugestehen, ihre eigene Identität zu wahren, die in die Dialektik zwischen Verankerung und Mobilität eingebettet ist.
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