Überarbeitete Fassung des Beitrags in der Broschüre des Projektes KAHR – Klima-Anpassung, Hochwasser und Resilienz für Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen, Förderung: Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF, FKZ: 01LR2102A bis M)
Was ist resilienter Wiederaufbau?
Die Stärke und Auswirkungen des Hochwassers im Juli 2021 waren ein Schock – für den einzelnen Betroffenen bis hin zur Bundesebene: Die humanitären Auswirkungen mit 190 Todesopfern in ganz Deutschland (und einer immer noch vermissten Person), mehreren hundert Verletzten und ungezählten traumatisierten Menschen werden in der jüngeren Vergangenheit nur von der Sturmflut 1962 an der Nordseeküste und in Hamburg übertroffen. Zudem ist das Hochwasser im Juli 2021 mit einem geschätzten Sachschaden von 33 Mrd. Euro das teuerste Ereignis in Deutschland nach 1945, das auf eine Naturgefahr zurückgeführt werden kann.
Wie gehen Gesellschaften mit so einem Schock um? Wie schnell erholen sich Geschädigte? Welche Lehren werden aus diesem Schadensereignis gezogen? Und inwiefern bietet die Krise auch eine Chance für Verbesserungen und höhere Schutzstandards? Diese Fragen berühren das Konzept der Resilienz. Holling (1973) hat den Begriff „Resilienz“ in die Ökologie eingeführt als Kapazität eines Systems, Störung zu absorbieren, ohne lebenswichtige Strukturen und Prozesse im System zu ändern. Zudem betont die Störungsökologie, dass Krisen auch Anpassungsprozesse anstoßen, die durch Veränderungen das System selbst erhaltungsfähiger machen.
Resilienz findet sich nicht nur in der Ökologie, sondern auch in den Ingenieurwissenschaften, der Psychologie und der Naturgefahren- und risikoforschung, in der sich Resilienz zunehmend als komplementäres Konzept zu Vulnerabilität (Schadensanfälligkeit) etabliert. In der Klimaanpassungs-forschung spricht man oftmals von Klimaresilienz und klimaresilienten Entwicklungspfaden.
Die vielfältigen Anwendungsbereiche lassen bereits vermuten, dass es keine einheitliche Definition gibt: Resilienz wird fach- und kontextspezifisch definiert (vgl. auch Kuhlicke, 2024). Im klassischen Hochwasserschutz wird Resilienz vielfach als Widerstandsfähigkeit interpretiert, d.h. bauliche Schutzmaßnahmen wie Talsperren und Deiche verhindern bis zu einem bestimmten Niveau, dass die Gesellschaft durch Hochwasser beeinträchtigt wird. Aber was ist, wenn diese Schutzmaßnahmen versagen oder das Ereignis stärker ausfällt? Dann kommt ein weiterer Aspekt von Resilienz ins Spiel, nämlich die Fähigkeit eines Systems, nach einem Schaden wieder in den Ausgangszustand zurückzukehren (engl: bouncing back). Der lateinische Wortursprung „resilire“ bedeutet genau dies: zurückspringen. Hier werden Ausmaß und Geschwindigkeit der Erholung oftmals als Maß für die Resilienz herangezogen. Ein resilientes System wird demnach weniger geschädigt als ein nicht-resilientes System und erholt sich schneller, wobei lernfähige Systeme generell gestärkt aus einer Krise hervorgehen. In Bezug auf den Wiederaufbau nach einem schädigenden Hochwasserereignis ist damit die Erwartung verknüpft, dass durch Wiederaufbauprozesse die Widerstands- und Regenerationsfähigkeiten verbessert werden, z.B. indem Lernprozesse etabliert und Faktoren, die Risiken erhöhen, beseitigt werden (engl.: bouncing forward). Klimaresiliente Entwicklung verknüpft dies darüber hinaus noch mit Aspekten der Klimagerechtigkeit und der gerechten und nachhaltigen Entwicklung. Damit eröffnen sich durch Krisen und Schockereignisse auch neue Möglichkeiten zur Stärkung von Resilienz und zur Reduzierung von Risiken. Dabei kann – im Sinne eines adaptiven Kreislaufs – auch der ursprüngliche Wachstums- und Entwicklungspfad verlassen werden.
Abbildung: Verständnis von Resilienz im KAHR-Projekt in Anlehnung an die Definition aus dem Projekt MONARES (MONARES, 2018; Grafik: Ute Dolezal, Universität Potsdam).
Die Abbildung veranschaulicht die Resilienz beim Wiederaufbau, die in Anlehnung an die umfassende Definition für Resilienz aus dem Projekt MONARES (2018) nun für Hochwasser wie folgt definiert wird: Die Hochwasserresilienz einer Gesellschaft besteht aus den Fähigkeiten ihrer Sub-Systeme (Bevölkerung, Wirtschaft, Verwaltung und Politik, Infrastruktur und Umwelt), negativen Folgen von Überflutungen zu widerstehen, nach Beeinträchtigungen durch Überflutungen zentrale Funktionen schnell wiederherzustellen, aus vergangenen Hochwasserereignissen und -schäden zu lernen und dabei mögliche Folgen von Klimaveränderungen für zukünftige Extremwetter- und Hochwasserereignisse zu antizipieren. Auch die Fähigkeit, sich an potenzielle Folgen kurz- und mittelfristig anzupassen sowie sich langfristig zu transformieren, ist ein Teilaspekt der Resilienz. Je stärker diese Fähigkeiten ausgeprägt sind, desto resilienter ist eine Gesellschaft gegenüber Überflutungen und anderen Folgen des Klimawandels. Dabei sind alle Fähigkeiten wichtig.
Doch wie kann Resilienz beim Wiederaufbau gesteigert werden? Wer muss handeln?
Die Schäden durch das Hochwasser 2021 zeigen, dass verschiedene Bereiche von den Auswirkungen betroffen sind: Privathaushalte, Unternehmen & Wirtschaft, (öffentliche) Infrastrukturen, Verwaltung und Umwelt. Eine Steigerung der Resilienz kann (und sollte) in all diesen Bereichen erfolgen und beim Wiederaufbau mitgedacht werden. Dafür wurden im Projekt KAHR – Klimaanpassung, Hochwasser und Resilienz für Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen Beispiele erarbeitet. Weiterhin hat die Arbeitsgruppe „Resilienz im Hochwasser- und Starkregenrisikomanagement“ innerhalb der Deutschen Vereinigung für Wasserwirtschaft (DWA) einen gleichnamigen Themenband veröffentlicht (DWA, 2024). Darin werden verschiedene Aspekte der aktuellen Resilienzdiskussion im Kontext von Hochwasser- und Starkregenrisikomanagement erläutert.
Im Sinne eines vorausschauenden Hochwasserrisikomanagements sollten beim Wiederaufbau aber nicht nur vergangene und gegenwärtige Risiken gemindert, sondern auch potenziell zukünftige Risiken in den Blick genommen werden. Durch die Auswirkungen des Klimawandels wird eine Zunahme der Wahrscheinlichkeit und Stärke von Hochwasserereignissen erwartet. Es ist also notwendig, Puffer für mögliche zukünftige Änderungen der Hochwasserwahrscheinlichkeiten einzubauen und das Risikomanagement so zu gestalten, dass Anpassungen an veränderte Randbedingungen möglich sind und Unsicherheiten in den Planungsgrundlagen, z.B. in Hochwassergefahrenkarten, berücksichtigt werden. Dies erfordert neue und adaptive Ansätze in der räumlichen Planung, dem Hochwassermanagement, dem Objektschutz sowie in der Verhaltens- und Informationsvorsorge.
Die Verbesserung von Resilienz gegenüber Starkregen und Hochwasser ist ein Prozess und sollte in andere Entwicklungsprozesse eingebunden werden. Daher spricht der Weltklimarat (IPCC) in seinem jüngsten Gutachten zu Klimafolgen von einer klimaresilienten Entwicklung, die die Bemühungen um Klimaanpassung, Klimaschutz und Entwicklung zur Förderung der Nachhaltigkeit für alle kombiniert. Klimaresiliente Entwicklung bedeutet demnach, dass gleichzeitig 1) die Verringerung der Exposition und Anfälligkeit gegenüber Naturgefahren wie Hochwasser, 2) die Reduzierung von Treibhausgasemissionen und 3) die Verbesserung anderer Nachhaltigkeitsindikatoren, z.B. die Erhaltung der biologischen Vielfalt, bei der Entscheidungsfindung in allen Bereichen der Gesellschaft Priorität haben sollten. Dies ist nicht durch eine Maßnahme oder einen Akteur zu leisten, sondern eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe in allen Bereichen des Handelns – auch beim Wiederaufbau.
Insgesamt geht es beim klimaresilienten Wiederaufbau also darum, nicht nur die Hochwasserschäden zu beseitigen und zu reparieren, sondern dies so tun, dass die Hochwasserexposition von Gebäuden, Infrastrukturen und Menschen und ihre Schadensanfälligkeit (Vulnerabilität) verringert wird, um zukünftige Schäden zu mindern. Gleichzeitig soll der Wiederaufbau so erfolgen, dass mittel- bis langfristig Treibhausgasemissionen verringert werden. Hier spielen z.B. neue Konstruktionen, Baumaterialien und Anschaffungen emissionsarmer Geräte eine Rolle. Das KAHR-Projekt hat diese Prozesse in Pilotgebieten, die in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz im Juli 2021 von Hochwasser betroffen waren, untersucht und Impulse für eine Verbesserung der Klimaresilienz beim Wiederaufbau gegeben. Dabei wurden verschiedene gesellschaftliche Subsysteme angesprochen: Bevölkerung & Privathaushalte, Unternehmen & Wirtschaft, Infrastrukturbetreiber sowie (Fach-)Verwaltungen auf der lokalen und der Landes-/Bundesebene, insbesondere im Umweltbereich. Resilienter Wiederaufbau tangiert all diese Bereiche und die betreffenden Akteure. Zudem müssen auch entsprechende Rahmenbedingungen geschaffen werden, die Lern- und Anpassungsprozesse unterstützen, z.B. in den Richtlinien zur Verwendung der Wiederaufbauhilfen. Insgesamt handelt es sich somit um komplexe Prozesse. Da klare und einfache Konzepte und Lösungen fehlen, sind auch Forschung und Wissenschaft vom Wiederaufbau herausgefordert. Daher wird im KAHR-Projekt abschließend eine wissenschaftliche Synthese zum klimaresilienten Wiederaufbau angestrebt.
Institut für Umweltwissenschaften und Geographie, Universität Potsdam
Prof. Dr. Annegret Thieken
thieken[at]uni-potsdam[dot]de
Unter Mitwirkung von
Institut für Raumordnung und Entwicklungsplanung, Universität Stuttgart
Prof. Dr.-Ing. habil. Jörn Birkmann
joern.birkmann[at]ireus[dot]uni-stuttgart[dot]de
Helmholtz-Zentrum Potsdam – Deutsches GeoForschungsZentrum GFZ
Prof. Dr.-Ing. Bruno Merz
bruno.merz[at]gfz-potsdam[dot]de
Institut für Natur- und Ressourcenschutz,
Christian-Albrechts-Universität zu Kiel
PD Dr. Björn Guse
bguse[at]hydrology[dot]uni-kiel[dot]de
Institut für Wasserbau und Wasserwirtschaft, RWTH Aachen University
Dr.-Ing. Elena-Maria Klopries
klopries[at]iww.rwth-aachen[dot]de
Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung
Prof. Dr. Christian Kuhlicke
christian.kuhlicke[at]ufz[dot]de
Fachgebiet Wasserbau und Wasserwirtschaft, RPTU Kaiserslautern-Landau
Prof. Dr. Robert Jüpner
robert.juepner[at]bauing[dot]uni-kl[dot]de
- DWA (Hrsg., 2024): Resilienz im Hochwasser- und Starkregenrisikomanagement. Themenband T2/2024, April 2024, DWA: Hennef, 81 S.
- Holling, C.S (1973): Resilience and stability of ecological systems. In: Annual Review of Ecology and Systematics. 4: 1–23.
- IPCC, 2022: Climate Change 2022: Impacts, Adaptation, and Vulnerability. Contribution of Working Group II to the Sixth Assessment Report of the Intergovernmental Panel on Climate Change [H.-O. Pörtner, D.C. Roberts, M. Tignor, E.S. Poloczanska, K. Mintenbeck, A. Alegría, M. Craig, S. Langsdorf, S. Löschke, V. Möller, A. Okem, B. Rama (eds.)]. Cambridge University Press. Cambridge University Press, Cambridge, UK and New York, NY, USA, 3056 pp.
- Kuhlicke, C. (2024): Resilienz und Risiko. In: M. Sonnberger et al. (Hrsg.): Handbuch Umweltsoziologie. Springer, 2. Auflage, S. 711–723
- MONARES (2018): Framework für urbane Klimaresilienz