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25.07.2013

Wahrnehmung des Klimawandels Klimawandel findet auch in unseren Köpfen statt. Jeder von uns nimmt das Thema je nach persönlichem oder beruflichem Hintergrund unterschiedlich wahr.

Wahrnehmung des Klimawandels in den verschiedenen sozialen Milieus in Deutschland

Der Klimawandel wird von der deutschen Öffentlichkeit mehrheitlich als ernstes Problem betrachtet, wie repräsentative Umfragen belegen (z. B. [1] BMU 2008; Europäische Kommission [2] 2008, [3] 2009, [4] 2011). Für viele stellt er allerdings ein eher abstraktes, überwiegend durch Medien vermitteltes Problem dar, denn es fehlen direkte persönliche Erfahrungen mit den Folgen des Klimawandels. Der Klimawandel wird vor allem in Verbindung gebracht mit der Erwärmung der Erde, dem Abschmelzen der Gebirgsgletscher, dem Rückgang des Polareises und negativen Folgen für die Tier- und Pflanzenwelt. Viele Deutsche sehen im Klimawandel in erster Linie Probleme für die wirtschaftlich unterentwickelten Länder des Südens, in denen die Auswirkungen, wie die Ausbreitung von Wüsten und die Ausdehnung von Dürreperioden sowie die damit zusammenhängenden Folgen für die dort lebenden Menschen schon sichtbar werden.

© Andreas Kermann/iStock

© Andreas Kermann/iStock

Die möglichen Folgen des Klimawandels für Deutschland werden von den meisten als nicht so gravierend und beherrschbar eingestuft. Viele rechnen auch damit, dass sie erst nach ihren Lebzeiten eintreffen werden. Eine persönliche Betroffenheit wird eher selten wahrgenommen. In Regionen, in denen immer wieder Hochwasserereignisse auftreten oder die regelmäßig von anderen mit dem Klimawandel in Verbindung gebrachten Schadensereignissen, wie Stürmen oder Starkregen, konfrontiert werden, besteht in der Regel eine höhere Sensibilisierung für diese möglichen Klimawandelfolgen und die mögliche eigene Betroffenheit (s. z. B. [5] Grothmann 2005).

Faktoren, die einen Einfluss auf die Wahrnehmung der Risiken durch den Klimawandel haben, sind Geschlecht, Alter, Bildung, beruflicher Status und Einkommen sowie Wertorientierungen, Einstellungen und Lebensstil (s. z. B. [1] BMU 2008; Europäische Kommission [2] 2008, [3] 2009, [4] 2011; [6] UBA 2009). Für eine soziokulturell differenzierte Perspektive auf die Wahrnehmung des Klimawandels, die Wertorientierungen, Einstellungen und Lebensstile berücksichtigt, wurde in der Umweltbewusstseinsstudie 2008 erstmals der Ansatz der sozialen Milieus aufgenommen.

Soziale Milieus in Deutschland

Soziale Milieus sind Gruppen von Menschen, die sich in ihrer Lebensauffassung, ihren Wertprioritäten, ihren Verhaltensweisen sowie ihren alltagsästhetischen Stilen und Präferenzen ähneln. Ein in der Marktforschung häufig genutztes, aber auch bei Untersuchungen z. B. von Einstellungen zum Wald und zu moderner Technik eingesetztes Modell ist das der Sinus-Milieus (s. z. B. [7] Kleinhückelkotten et al. 2009; [8] Neitzke et al. 2008). Das Modell von 2009 umfasst zehn soziale Milieus (s. z. B. [9] Sinus Sociovision 2009). Die Milieus können zu vier größeren Lebenswelt-Segmenten zusammengefasst werden: Gesellschaftliche Leitmilieus, Traditionelle Milieus, Moderner Mainstream und Hedonistische Milieus. In Tabelle 1 sind die Milieus hinsichtlich ihrer zentralen Wertorientierungen und ihrer sozialen Lage (Einkommen, Bildung, beruflicher Status) beschrieben. Die Prozentangaben beziehen sich auf den Anteil des jeweiligen Milieus an der deutschen Wohnbevölkerung ab 14 Jahren.
 Tabelle 1: Kurzcharakteristik der Sinus-Milieus mit Angaben zum prozentualen Anteil an der Bevölkerung (Sinus Sociovision 2009)

Wahrnehmung und Bewertung der Risiken durch den Klimawandel in den sozialen Milieus

Zwischen den sozialen Milieus zeigen sich zum Teil deutliche Unterschiede in der Wahrnehmung des Klimawandels und seiner Folgen ([6] UBA 2009):

Das allgemeine Problembewusstsein in Bezug auf den Klimawandel ist in der Bevölkerung relativ hoch. 80% der befragten Personen sind sich bewusst, dass im Wesentlichen menschliches Handeln für den Klimawandel verantwortlich ist. 64% sehen durch ihn die Existenz der Menschheit mehr oder weniger bedroht. Der Anteil derer, die das Bedrohungspotenzial des Klimawandels für hoch halten, ist in den meisten Milieus ähnlich groß. Nur Konsum-Materialisten sind etwas seltener besorgt. Der verneinenden Aussage „Es gibt keine ernsthaften negativen Folgen des Klimawandels" stimmen Befragte aus dem Milieu der Hedonisten häufiger zu.

Auch wenn der Klimawandel von den meisten Befragten als ernstes Problem betrachtet wird, sehen sich nur wenige selbst davon betroffen. Sehr große oder große Auswirkungen auf den persönlichen Wohlstand oder die eigene Gesundheit bzw. die der eigenen Familie erwarten jeweils weniger als 20% der Befragten. Etwas häufiger sind die Befürchtungen in Bezug auf den persönlichen Wohlstand in den beiden hedonistischen Milieus und die Gesundheit betreffend bei Postmateriellen. In den traditionellen Milieus, insbesondere bei den Konservativen, sind es deutlich mehr, die die persönliche Betroffenheit für gering halten.

Etwas mehr als die Hälfte der Bevölkerung hält die Folgen des Klimawandels in Deutschland für beherrschbar. Die technik- und machbarkeitsorientierten Milieus Etablierte und Konservative sind in dieser Frage etwas optimistischer als der Rest der Bevölkerung. Eine skeptische Haltung hinsichtlich der Beherrschbarkeit der Folgen des Klimawandels ist bei Postmateriellen stärker verbreitet. In diesem Milieu geht ein höheres Problembewusstsein einher mit einer kritischen Grundhaltung der gesellschaftlichen Entwicklung gegenüber. Klima- und Umweltschutz sind für sie wichtige Anliegen, die ihrer Meinung nach wesentlich konsequenter verfolgt werden müssten, als es bisher durch Politik, Wirtschaft und Bürgerinnen und Bürger geschieht.

Als Gefahren werden vor allem hohe Kosten für die Beseitigung von Schäden durch den Klimawandel und für Maßnahmen zur Anpassung an seine Folgen gesehen. Die Zustimmung zu den entsprechenden Aussagen liegt bei 87 bzw. 85% der Befragten. Rund 70% stufen auch das Waldsterben und den Verlust an biologischer Vielfalt als große Gefahren des Klimawandels ein. Die Zunahme von Flüchtlingsströmen aus vom Klimawandel stark betroffenen Weltregionen, den Anstieg von Opfern durch Hitzewellen oder die Ausbreitung von Tropenkrankheiten halten offensichtlich weniger Befragte für wahrscheinlich. Doch auch diese werden von 53 und 41% als gefährlich eingestuft. Die zuerst genannten Gefahren werden überdurchschnittlich häufig von Befragten aus dem Postmateriellen Milieu als groß bewertet. Bei den zuletzt genannten Gefahren liegen dagegen die Befragten aus dem Milieu der Hedonisten noch deutlicher über dem Durchschnitt. Zwischen 60 und 70% der Hedonisten halten sie für groß. Konservative und Moderne Performer schätzen die Gefahren überdurchschnittlich häufig als eher gering ein.

Bereitschaft und Fähigkeit zur Anpassung an den Klimawandel in den sozialen Milieus

In den letzten Jahren wurden im Rahmen des Klimzug-Projekts für die Region Nordhessen mehrere Befragungen zur Wahrnehmung und Akzeptanz von Anpassungsmaßnahmen in der Bevölkerung durchgeführt, bei denen die Milieuperspektive berücksichtigt wurde (s. z. B. [10] Ernst et al. 2012). Bisher liegen aber weder aus dieser noch aus anderen Untersuchungen milieudifferenzierte und für Deutschland repräsentative Ergebnisse zum Anpassungshandeln in Bezug auf den Klimawandel vor. Auf der Grundlage vorhandener Daten lassen sich dennoch einige Aussagen dazu machen: Einzelne Maßnahmen, wie die Isolierung des Daches und der Außenwände, kommen eigentlich nur für Haus- und Wohnungseigentümer in Betracht. Überdurchschnittlich viele Hauseigentümer finden sich in den finanziell gut gestellten Milieus Konservative, Etablierte und Postmaterielle ([11] Axel Springer & Bauer Media Group 2009). Einen großen Anteil an den Hauseigentümern stellen zudem die relativ großen Milieus Traditionsverwurzelte und Bürgerliche Mitte. Im noch jungen Leitmilieu der Modernen Performer liegt der Anteil der Haus- und Wohnungseigentümer zwar im Durchschnitt, hier finden sich aber vergleichsweise viele Personen, die in den nächsten Jahren Wohneigentum erwerben wollen. Größere Investitionen planen nur wenige Haus- und Wohnungseigentümer in den nächsten Jahren. Zu den investitionsbereiteren Milieus gehören Etablierte, Postmaterielle und Bürgerliche Mitte.

Auch zur Bereitschaft für nicht-investive Vorsorgemaßnahmen gibt es keine milieudifferenzierten Daten. Voraussetzung für Anpassungshandeln ist die grundsätzliche Sensibilisierung für die Gefahren des Klimawandels und die Bereitschaft, sich zu informieren über mögliche Folgen in der eigenen Region und über Maßnahmen, sich dagegen zu wappnen. Wie oben gezeigt wurde, ist die wahrgenommene persönliche Betroffenheit in der Bevölkerung aber eher gering. Auch das Interesse an Informationen zum Klimawandel ist nicht besonders hoch: Nur etwas mehr als ein Fünftel der Bevölkerung findet der Umweltbewusstseinsstudie 2008 zufolge Informationen zu den Themen 'Klimawandel und Klimaschutz' sehr interessant ([6] UBA 2009). Doppelt so hoch ist das Interesse im kritischen und umweltbewussten Milieu der Postmateriellen. Auch Etablierte und Konservative, zwei ebenfalls sehr informationsorientierte Milieus, liegen deutlich über dem Durchschnitt. Einen höheren Anteil Interessierter gibt es zudem in den Milieus Moderne Performer und Bürgerliche Mitte. In den genannten Milieus ist das Vertrauen in die eigenen Möglichkeiten und Fähigkeiten, Probleme bewältigen zu können, größer als in den meisten anderen Milieus.

Zusammenfassung: Problembewusstsein in den sozialen Milieus

Die meisten Deutschen teilen mittlerweile die Auffassung, dass sich das Klima wandelt und dass die Erderwärmung hauptsächlich vom Menschen verursacht wird. Dies führt aber nicht bei allen zu einem hohen Problembewusstsein. Es lassen sich drei größere Gruppen unterscheiden: Informierte, Sensibilisierte und Desinteressierte.

Abb1.: Interesse und Problembewusstsein in Bezug auf den Klimawandel in den sozialen Milieus

Abb1.: Interesse und Problembewusstsein in Bezug auf den Klimawandel in den sozialen Milieus

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Als weitgehend informiert über den Klimawandel und seine Folgen können vor allem die Milieus der oberen gesellschaftlichen Hälfte gelten. Aus diesen Milieus stammen auch die meisten der für den Klimaschutz Sensibilisierten, d. h. diejenigen mit hohem Problembewusstsein und höherer Bereitschaft, selbst zum Klimaschutz beizutragen. Ihr Anteil dürfte allerdings in den jungen, urbanen Milieus etwas geringer sein als in den anderen Milieus. Das Problembewusstsein in Bezug auf die Folgen des Klimawandels in Deutschland allgemein und speziell für die eigene Region und die Sensibilisierung für notwendige Anpassungsmaßnahmen ist dagegen weniger ausgeprägt, dürfte aber ebenfalls in den gut gebildeten und informationsorientierten Milieus der oberen gesellschaftlichen Hälfte am stärksten sein.

Vergleichsweise desinteressiert am Klimawandel sind die Milieus der modernen Unterschicht. Das bedeutet nicht, dass die Angehörigen dieser Milieus mehrheitlich noch nichts vom Klimawandel gehört haben oder gar der Meinung sind, dass dieser nicht stattfindet. Klimawandel und Klimaschutz sind aber keine Themen, mit denen man sich intensiver auseinandersetzt. Ein Bezug zur eigenen Lebenswelt wird selten gesehen. Auch im Traditionsverwurzelten Milieu findet eine aktive Auseinandersetzung mit dem Klimawandel und seinen Folgen kaum statt.


Autorin
Autoren Kleinhueckelkotten
Dr. Silke Kleinhückelkotten
ECOLOG-Institut für sozial-ökologische Forschung und Bildung, Hannover

Quellen