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15.07.2021

Klimawandel in Norddeutschland Welche Auswirkungen, Folgen und Handlungsbedarfe zeichnen sich ab?

Gesundheit

Klimaänderungen können sich vor allem durch Extremereignisse direkt auf die menschliche Gesundheit auswirken. Seit den vermehrt aufgetretenen Hitzewellen der letzten Jahre stehen hier vor allem diese thermischen Extremereignisse im Fokus des öffentlichen Interesses. Dem stehen die indirekten Einflüsse gegenüber. Dazu gehören u. a. die veränderte Verbreitung von Krankheitsüberträgern (z. B. Mücken, Zecken), steigende Hautkrebshäufigkeit und eine Zunahme allergieauslösender Pollen.

© Michael Fritz

© Michael Fritz

Die Hitzebelastung reicht vom einfachen Hitzestress bis hin zu Notfallsituationen wie einem Hitzschlag. Zu den Risiko­gruppen zählen Menschen, die vermehrt der Hitzebelastung ausgesetzt sind. Hierzu zählen beispielsweise Obdachlose oder Menschen, die in städtischen Wärmeinseln leben oder arbeiten. Außerdem besitzen Menschen mit Herz­-Kreislauf­, Atemwegs-­ oder mentalen Erkrankungen eine verminderte
Fähigkeit, sich an Hitze anzupassen. Diese Akklimatisation fällt jüngeren, körperlich gesunden Menschen leichter als älteren Menschen. Je nach individueller Verfassung erfolgt die Akklimatisation an Hitze innerhalb von etwa 14 Tagen. Die Wirkung einer Hitzewelle auf die menschliche Gesundheit ist von ihrer Intensität, Dauer und dem Zeitpunkt des Auftretens im Jahresverlauf abhängig. Je früher diese im Jahr auftritt, desto größer ist ihre Auswirkung auf die Gesundheit, da im Frühjahr oftmals noch keine ausreichende Akklimatisation an hohe Temperaturen stattgefunden hat. Auch sind nicht zwangsläufig die Maximaltemperaturen entscheidend, sondern die Dauer einer erhöhten Temperatur sowie die Abkühlung während der Nacht. Hohe Luftfeuchtigkeit sowie erhöhte Ozonwerte und Feinstaub wirken sich bei Hitze zusätzlich belastend aus.

Die zukünftige Veränderung der UV-Strahlung am Erdboden ist mit großen Unsicherheiten behaftet. Insbesondere der UV­B-Anteil ist biologisch besonders wirksam und kann sich auf die Gesundheit auswirken. Neben Sonnenbränden sind Hautkrebserkrankungen der Hauptrisikofaktor. Im Auge wird die Entstehung des Grauen Stars begünstigt. Unabhängig davon ob sich die UV­-Strahlung am Erdboden verändert, ist davon, auszugehen, dass sich das menschliche Verhalten durch klima­tische Veränderungen ändert. Der Aufenthalt im Freien steht in deutlichem Zusammenhang mit den vorherrschenden meteo­rologischen Bedingungen wie Temperatur, Sonnenscheindauer, Niederschlag oder Bedeckungsgrad. Eine Zunahme nieder­schlagsfreier Tage mit Temperaturen im thermischen Komfort­bereich könnte dazu führen, dass sich die Menschen häufiger im Freien aufhalten als bei schlechtem Wetter und sie somit eine höhere UV-­Dosis empfangen. Temperaturen oberhalb des thermischen Komfortbereichs hingegen könnten die Menschen veranlassen, die direkte Sonne zu meiden und Schattenbereiche aufzusuchen oder sich innerhalb von Gebäuden aufzuhalten.

Die gesundheitlichen Auswirkungen von Extremwetterereignissen wie Überschwemmungen oder Sturmfluten spielen im internationalen Vergleich in Norddeutschland eine eher geringe Rolle. Mögliche direkte gesundheitliche Folgen durch Extrem­ereignisse wie Hochwasser, Überschwemmungen und Stürme, auch in Ländern mit hohen Einkommen, sind neben Ertrinken Verletzungen wie Frakturen, Verstauchungen oder Schnittwunden. Weitere direkte gesundheitsbeeinträchtigende Folgen können Durchfallerkrankungen, chemische Kontaminationen, Haut­/Augenerkrankungen und psychische Störungen wie Depressionen und posttraumatische Belastungsstörungen sein. Eine weitere indirekte Auswirkung des Klimawandels ergibt sich aus der Zunahme allergieauslösender Pollen. Etwa jeder zweite Erwachsene in Deutschland reagiert sensibel auf diese Allergene. Zu ihnen gehören insbesondere Pollen von Bäumen, wie Haselnuss, Erle, Birke und Eiche, von Süßgräsern und auch von Korbblütlern, z. B. Ambrosia. Klimatische Veränderungen können sich auf die Pollensaison (Beginn, Dauer), die Pollenmenge (erhöhte CO2­-Konzentration), die Pollenallergenität, den Pollentransport sowie die Verbreitung invasiver Arten wie beispielsweise Ambrosia auswirken. Das allgemein frühere Einsetzen von Blühphasen ist auch für Haselnuss, Erle und Birke im Frühjahr sowie für Süßgräser im Sommer zu erwar­ten und teilweise dokumentiert. Für die Produktivität und die Pollenproduktion ist atmosphärisches CO2 von besonderer Bedeutung, da das Gas die wichtigste Kohlenstoffquelle für die Photosynthese der Pflanzen und damit für die Primärpro­duktion ist. So zeigt beispielsweise Ambrosia bei erhöhter Temperatur und auch bei ansteigender CO2­-Konzentration in Experimenten eine vermehrte Pollenproduktion. Auch die zunehmende Verbreitung von Ambrosia in Europa wird mit der Erwärmung des Klimas in Verbindung gebracht. Aller­dings sind gegenwärtig für den norddeutschen Raum wohl Auswirkungen des Klimawandels in der Region nach wie vor Verunreinigungen von Vogelfutter mit Ambro­siasamen die Hauptursache für die verstärkte Verbreitung dieser Art mit hochallergenen Pollen. Zudem werden weitere Umweltfaktoren, wie eine zunehmende Luftverschmutzung oder auch überhöhte Hygienestandards, als verstärkende Faktoren für eine Zunahme von Allergien diskutiert.

Für die zunehmende Gesundheitsgefährdung durch Stechmücken in unseren Breiten werden neben dem Klimawandel der zunehmende globale Personen-­ und Güterverkehr verant­wortlich gemacht. Da Hamburg durch seinen Hafen intensiv in den globalen Warenverkehr eingebunden ist, stellt sich die Frage, ob diese exponierte Lage zusammen mit Klimaverände­rungen bereits zu einer Ansiedlung bedrohlicher Populationen von Stechmücken geführt hat. Zwar gilt Deutschland seit Anfang der 1970er­ Jahre als malariafrei, doch drohen heute neue Überträger von Krankheitserregern wie die asiatische Tigermücke nach Deutschland einzuwandern. Zudem wurden durch Mücken übertragene Erreger, wie beispielsweise die Usutu­-Viren, wiederentdeckt. Das Auftreten ursprünglich mediterraner Stechmücken in Norddeutschland kann als möglicher Indikator für Klimaveränderungen gewertet werden. In Teilen Südeuropas wurden diese Stechmücken als Überträ­ger des West­-Nil­-Virus identifiziert, das in der Regel harmlose grippeähnliche Erkrankungen verursacht.

Neben Mücken sind Zecken die Hauptüberträger von Krankheitserregern. Der Holzbock, die häufigste Zecke in Deutschland, kann verschiedenste Mikroorganismen übertragen. Die bedeu­tendsten übertragenen Krankheitserreger sind jedoch Bakterien, die beim Menschen die sog. Lyme-­Borreliose auslösen können. Durch Zecken übertragene Erkrankungsfälle sind in den letzten Jahren stark angestiegen. Neben der zunehmenden Erholungssu­che in der freien Natur oder einer verstärkten Aufmerksamkeit gegenüber von Zecken übertragenen Erkrankungen wird auch der Klimawandel als Ursache diskutiert, da klimatische Parame­ter die Aktivität und das Überleben der Zecken beeinflussen. So benötigen Zecken eine relative Luftfeuchtigkeit von > 75 %, um nicht auszutrocknen. Das Aktivitätsmaximum erreichen Zecken bei 17–20 °C, jedoch sind sie bereits ab einer Temperatur von ca. 7 °C aktiv. Im Zuge des Klimawandels ist damit zu rechnen, dass diese Mindesttemperatur an mehr (Winter­-)Tagen erreicht sein wird, als es bisher der Fall ist. Dies könnte die Zeckenpopulation durch kürzere Generationszeiten und möglicherweise auch die Rate von Infektionen mit pathogenen Mikroorganismen maßgeblich beeinflussen. Ob und inwieweit Krankheitserreger, die von Zecken übertragen werden, im Zuge des Klimawandels in Norddeutschland vermehrt auftreten, ist derzeit Gegenstand der Forschung. Bisher jedoch gibt es noch keinerlei Daten, die darauf hindeuten, dass mit dem Klimawandel auch die Zahl der Zecken in Hamburg und Norddeutschland zunimmt.

Da die Luftbelastung einer Region neben den Emissionen auch sehr stark von meteorologischen Bedingungen abhängt, ist ein Einfluss des Klimawandels auf die Luftqualität und damit auf die Gesundheit der Bevölkerung zu erwarten. Die Auswirkungen eines sich verändernden Klimas auf die Luftqualität erfolgen durch Veränderungen der Ventilationsgegebenheiten (durch Wind, Mischungsschichthöhe, Konvektion und Frontpas­sagen), der Auswaschung durch Niederschläge, der chemischen Umwandlungsraten und der natürlichen Emissionen. Luftschad­stoffe wirken sich auf Herz­-Kreislauf­-Erkrankungen, Asthma und andere Atemwegserkrankungen aus. Ältere Menschen, Kleinkinder und chronisch kranke Personen sind hier am häufigsten betroffen. Die Luftqualität im norddeutschen Raum wird von Verkehrsemissionen, insbesondere durch Kraft­fahrzeuge und die Schifffahrt, durch industrielle Quellen und Kraftwerke, aber auch in erheblichem Maß durch die Land­wirtschaft bestimmt. Die zukünftige Luftqualität und damit einhergehend die Gesundheit der Bevölkerung im Nordwesten Europas wird sowohl von veränderten Emissionen von Schadstoffen, insbesondere auch denen aus dem Transportsektor, wie auch von Veränderungen meteorologischer Bedingungen durch den Klimawandel abhängen. Dabei ist die Bedeutung von Emissionsveränderungen und deren Auswirkung auf Schadstoffkonzentrationen gegenüber den möglichen Auswirkungen des Klimawandels auf die Luftbelastung deutlich höher.

Handlungsoptionen zur Verringerung gesundheitlicher Beeiträchtigungen
Hitzewarnsysteme oder auch Warnungen mittels UV-Index gehören zu den kurzfristigen Anpassungsmaßnahmen. Zur langfristigen Anpassung gehören beispielsweise Strategien und Maßnahmen in der Stadt- und Regionalplanung, der Landschafts- und Freiraumplanung sowie im Städtebau und in der Architektur. Kühlende Wasserflächen wie Seen, Flüsse und Bäche sowie feuchte Grünflächen in der Stadt, welche die Luftfeuchtigkeit erhöhen, tragen durch Verdunstung zur Kühlung bei. Die Vermeidung weiterer Flächenversiegelung bzw. deren Rücknahme können ebenfalls negativen Stadtklimaeffekten entgegenwirken. Zudem sollten Grünflächen zur Frischluftversorgung und als Kaltluftentstehungsgebiete erhalten bzw. entwickelt werden, um Hitzestress zu reduzieren. Die Berücksichtigung von Frisch- und Kaltluftkorridoren bei der Planung soll die Belüftung innerstädtischer Gebiete ermöglichen. Straßengrün, insbesondere die Bepflanzung mit (Laub-)Bäumen, trägt zur natürlichen Verschattung bei. Bioklimatisch positiv wirken sich auch begrünte Dächer und Fassaden aus, da sie Temperaturextreme reduzieren und Schadstoffe filtern.