Zur Übersichtsseite "Dossiers"
27.11.2024

Extreme Ereignisse (Update) Extreme Wetterereignisse verursachen jedes Jahr Schäden in Millionenhöhe. Welche Rolle spielt dabei der Klimawandel? Wie können wir Schäden vermeiden?

Wie können wir uns schützen?

Vom Sicherheitsdenken zur Risikokultur

Integriertes Risikomanagement wird heutzutage als Optimierungskreislauf verstanden mit dem übergeordneten Ziel, die negativen Auswirkungen von Naturgefahrenprozessen systematisch, transparent und kosteneffizient zu minimieren. Die schweizerische (nationale) „PLAttform NATurgefahren“ (PLANAT) fordert schon lange ein Umdenken beim Umgang mit Naturgefahren: Das bisherige Sicherheitsdenken bzw. die bisherige Gefahrenabwehr ist durch eine Risikokultur zu ersetzen. Darunter versteht PLANAT, dass Schutzmaßnahmen auf der Basis von vergleichbaren Risikoanalysen geplant, Handlungsbedarf und Kostenwirksamkeit nachgewiesen und die soziale Gerechtigkeit – auch für zukünftige Generationen – sowie die ökologische Verträglichkeit berücksichtigt werden.

Ausgangspunkt dieser Diskussion ist die Erkenntnis, dass

  • die intensive Nutzung unseres Lebensraums das Risiko durch Naturgefahren in den letzten Jahrzehnten vergrößert hat,
  • extreme Naturereignisse Bestandteile der Natur sind, denen der Mensch sich nicht entziehen kann,
  • aus finanzieller und technischer Sicht, aber auch aufgrund von Akzeptanzproblemen ein absoluter Schutz nicht möglich ist,
  • keine einheitlichen Maßstäbe, nicht einmal eine stringente Diskussion über Maßstäbe zur Bewertung von Naturrisiken und möglichen Schutzmaßnahmen vorliegen (Grünewald & Merz 2003).

Eine Risikokultur gründet sich auf die Beantwortung von drei Fragenkomplexen:

  • Was kann passieren? Wie wahrscheinlich ist das? Was geschieht, wenn es passiert? – die Kernfragen der Risikoanalyse (nach Kaplan and Garrick, 1981)
  • Was darf nicht passieren? Welche Sicherheit für welchen Preis? – die Kernfragen der Risikobewertung
  • Wie kann mit dem Risiko bestmöglich umgegangen werden? – die Kernfrage der Risikosteuerung

Langfristig kommt ein Risikomonitoring hinzu, bei dem zu quantifizieren und zu bewerten ist, ob und wie sich Risiken – aufgrund von klimatischen, landschaftlichen und/oder sozioökonomischen Änderungen – verändern. Beispielsweise ist in der europäischen Hochwasserrisikomanagement-Richtlinie (EC, 2007) alle sechs Jahre eine Aktualisierung von Gefahren- und Risikokarten sowie Managementplänen vorgesehen. Als weitere Komponente wird zunehmend die Kommunikation von Gefahren, Risiken und Vorsorgestrategien mit allen Beteiligten als wichtig angesehen. Die Kommunikationssysteme sollten dabei möglichst in partizipativen Prozessen entwickelt werden, um sie an den Bedürfnissen der Nutzer:innen auszurichten. Neue Ansätze wie Citizen Science, bei denen Bürger:innen sich an wissenschaftlichen Prozessen beteiligen können, haben darüber hinaus eine bewusstseinsbildende Wirkung und können so für die Eigenvorsorge mobilisieren.

Der Kreislauf des Risikomanagements

Im Ereignisfall stehen zunächst die Bewältigung des Ereignisses, d.h. die Rettung von Leben und andere Maßnahmen zur Begrenzung von Schäden im Vordergrund. Daran schließt sich – vor allem bei Ereignissen, die Schäden verursacht haben – eine Phase des Wiederaufbaus an. Ziel ist es, in der geschädigten Region den Lebensstandard vor dem Ereignis wiederherzustellen. In einer Risikokultur wird der Vorsorgegedanke bereits in diese Phase integriert, d.h. bei der Reparatur von Gebäuden und anderen Bauwerken werden schadensmindernde Maßnahmen mit geplant und umgesetzt. Das „Sendai-Rahmenwerk für Katastrophenvorsorge 2015-30“ der Vereinten Nationen (siehe UNDRR, 2015) spricht in diesem Zusammenhang vom „Build Back Better“ oder BBB-Prinzip. Im KAHR-Projekt zur wissenschaftlichen Begleitung des Wiederaufbaus nach dem Extremhochwasser vom Juli 2021 (siehe weiterführende Materialien) wurde der deutsche Begriff „Besser WiederAufbauen“ (BAB) dafür geprägt.

© A. Thieken

© A. Thieken

Risikomanagement bedeutet auch, aus Ereignissen zu lernen. Daher sollte die Phase des Wiederaufbaus mit einer Ereignis- und Risikoanalyse einhergehen, die zum Ziel hat, alle bestehenden Risiken zu identifizieren, zu quantifizieren und zu bewerten sowie bestehende Vorsorgemaßnahmen zu optimieren und ggf. weitere sinnvolle Vorsorgemaßnahmen vorzuschlagen. Für das Hochwasserereignis vom Juli 2021 ist das beispielsweise innerhalb der Projekte HoWas2021 und KAHR erfolgt (siehe DKKV, 2024 und KAHR-Empfehlungen zum Wiederaufbau). Dabei sind auch Szenarien zu berücksichtigen, die noch nie eingetreten sind, aber potenziell eintreten könnten (z.B. Versagensszenarien wie Deichbrüche, Kaskadeneffekte). Wissenschaftliche Studien nutzen das Prinzip des abwärts gerichteten kontrafaktischen Denkens, um genau das mit Modellen systematisch zu untersuchen: Was hätte schlimmstenfalls passieren können, wenn beispielsweise ein reales Ereignis, wie die extremen Niederschläge im Juli 2021, woanders in Deutschland aufgetreten wäre (siehe z.B. Studie von Voit & Heistermann, 2024)?

Zur Risikoanalyse gehört auch, nicht nur das Naturereignis – im Sinne einer Gefährdung – zu beschreiben, sondern auch mögliche Folgen wie Schäden und deren Eintrittswahrscheinlichkeiten abzuschätzen. Diese Betrachtungen sind eine Voraussetzung für die Planung von Schutzmaßnahmen und eine Bewertung von Schutzalternativen.

Bevor Vorsorgeplanungen und die Umsetzung von Maßnahmen beginnen können, ist zu bewerten, welches Risiko akzeptabel ist. Dies ist ein gesellschaftlicher Diskussionsprozess, da Menschen unterschiedliche Präferenzen, Werte, Interessen und Strategien im Umgang mit Risiken haben. Es gibt daher keine eindeutige Lösung für die Risikobewertung (WBGU, 1999). Risiken können jedoch stringent und konsistent bewertet werden, wenn die Präferenzen und Ziele der Beteiligten vorgegeben werden (WBGU, 1999).

Zudem ist das zugemutete Risiko nach der Verhältnismäßigkeit von Mittel und Zweck festzulegen (Kuhlmann, 1995), d.h. die bestmögliche Option bzw. das geringst mögliche Übel ist auszuwählen. Risikobewertung und Management streben demnach eine Risikooptimierung an. Bei der Planung, Auswahl und Umsetzung von Vorsorgemaßnahmen sollten verschiedene Maßnahmen berücksichtigt und kombiniert werden. Für die Optimierung sollten Alternativen – ihre Kosten und Nutzen im Sinne einer Schadensvermeidung – gegeneinander abgewogen werden, wobei nicht nur ökonomische Aspekte, sondern auch soziale und ökologische Faktoren berücksichtigt werden sollten (Grünewald & Merz, 2003).

Für die Vorsorge steht eine Reihe verschiedener Maßnahmen zur Verfügung. Folgende Kategorien werden unterschieden:

  • Man spricht von Risikovermeidung, wenn z.B. durch Raumplanung hochwassergefährdete Bereiche frei von Bebauung gehalten werden.
  • Unter Risikominderung werden alle technischen, baulichen und organisatorischen Maßnahmen verstanden, die Schäden mindern. Dazu gehören auch Maßnahmen, die die Betroffenen über die Gefährdung informieren und im Ereignisfall rechtzeitig warnen.
  • Risikotransfer bedeutet, dass finanzielle Schäden nicht allein von den Betroffenen, sondern von einer größeren Gruppe getragen werden. Zu nennen sind hier Versicherungen oder Katastrophenfonds.
  • Schließlich kommt der Bewusstseinsbildung durch Gefahren- und Risikokarten sowie der Kommunikation von Handlungsoptionen eine zentrale Rolle zu – vor allem, wenn die Betroffenen selbst Schutzmaßnahmen ergreifen sollen.

Nach den schweren Hochwasserereignissen im August 2002 und Juni 2013 wurden die genannten Vorsorgebereiche systematisch analysiert (DKKV, 2003, 2015). Weiterhin wurden Schwachstellen identifiziert und Empfehlungen ausgesprochen. Extremere Hochwasser oder schnell ablaufende sturzflutartige Ereignisse können jedoch neue Schwachstellen aufdecken, wie die unzureichende Warnsituation im Juli 2021 zeigt (siehe DKKV, 2024 und Thieken et al., 2023). Dies verdeutlicht, dass eine kontinuierliche Beschäftigung mit Maßnahmen zur Risikominderung nötig ist, um diese zu optimieren und an neue Herausforderungen anzupassen.

Das Restrisiko

Bei der Risikosteuerung ist neben der Optimierung von Vorsorgemaßnahmen auch das sogenannte Restrisiko im Auge zu behalten. Dies setzt sich aus einem – im Zuge der Risikobewertung – akzeptierten Risiko und einem unbekannten Risiko zusammen. Gerade bei extremen Ereignissen ist es unmöglich, die Gesamtheit aller Gefahren und Auswirkungen zu kennen und im Vorfeld zu berücksichtigen. Um das Restrisiko bestmöglich beherrschen zu können, ist das betreffende System zu beobachten, um mögliche Sicherheitslücken oder Versagensfälle frühzeitig zu erkennen. Zudem sind Vorkehrungen für den Notfall, in Form von Vorhersage und Warnsystemen, Notfallplänen usw. zu treffen (Grünewald & Merz, 2003).

Das Sendai-Rahmenwerk

International wurden die Leitgedanken der Risikokultur im „Hyogo Framework for Action 2005-2015“ (HFA) verankert, das im März 2015 durch ein Nachfolgeabkommen abgelöst wurde: das „Sendai-Framework for Disaster Risk Reduction 2015-2030“ (UNDRR, 2015; deutsch: „Sendai Rahmenwerk für Katastrophenvorsorge 2015-2030“). Erstmals wurden sieben Ziele für die Risikoreduktion festgelegt, u.a. eine deutliche Reduktion der Todesopfer und Schäden sowie ein Ausbau von Frühwarnsystemen. In diesem Zusammenhang wird regelmäßig auch der “Global Assessment Report on Disaster Risk Reduction” (GAR, UNDRR) herausgegeben, in dem über die weltweiten Anstrengungen, Risiken zu reduzieren, berichtet wird. Acht Jahre nach der Implementierung des Sendai-Rahmenwerks wurde der Erfolg in der Umsetzung von den internationalen Partnern evaluiert (UNDDR, 2023). Während der Fortschritt in der Umsetzung in den ersten Jahren nach der Implementierung vielversprechend war, zeigt die Evaluierung, dass die Länder die abgesteckten Ziele bis 2030 v.a. nicht erreichen werden. Es werden dringende Kurskorrekturen empfohlen, um den global zunehmenden Risiken auch in Zukunft vorausschauend begegnen zu können. Dazu gehört eine Veränderung in der Perspektive bei Entscheidungsfindungsprozessen von kurzfristigen zu nachhaltigen, langfristigen Zielen, die sich auch in der Gestaltung des globalen Wirtschaftssystems wiederfinden sollte. Darüber hinaus wird die stärkere Implementierung einer Risikokultur auf lokaler Ebene empfohlen.

Überarbeitung von Grünewald & Merz (2003) durch
Annegret Thieken
Prof. Dr. Annegret Thieken & Dr. Jennifer von Keyserlingk,
Institut für Umweltwissenschaften und Geographie der Universität Potsdam

annegret.thieken@uni-potsdam.de
Stand: November 2024
Quellen und Referenzen