Entscheidungsunterstützung bei der Klimaanpassung
Bewertung und Priorisierung von Klimaanpassungsmaßnahmen
Welche Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel sollen umgesetzt werden? In den meisten Fällen, in denen eine Anpassung auf Grundlage einer bereits bestehenden oder prognostizierten Betroffenheit erforderlich erscheint, stehen alternative Maßnahmen zur Auswahl.
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Entscheidungsträger aus Unternehmen und Verwaltung stehen damit vor der Herausforderung, die verfügbaren finanziellen Mittel möglichst effektiv und effizient einzusetzen. Diese Herausforderung ist umso größer, da in vielen Fällen nur unsichere Abschätzungen der Kosten und insbesondere der gegebenenfalls verschiedenen Nutzenkategorien der Maßnahmen vorliegen.
Nähere Informationen zu möglichen Handlungsoptionen bieten beispielsweise Datenbanken wie der KlimaExWoSt-Stadtklimalotse des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) oder Handbücher zur Klimaanpassung wie das Handbuch Stadtklima des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen, das Handbuch Klimawandelgerechte Stadtentwicklung für Jena, das Handbuch Klimaanpassung. Bausteine für die Nürnberger Anpassungsstrategie sowie die Städtebauliche Klimafibel Online.
- KlimaExWoSt-Stadtklimalotse des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR)
- Handbuch Stadtklima des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen
- Handbuch Klimawandelgerechte Stadtentwicklung für Jena
- Handbuch Klimaanpassung. Bausteine für die Nürnberger Anpassungsstrategie
- Städtebauliche Klimafibel Online
In einigen Fällen beinhalten diese Angebote bereits Anleitungen, die erläutern, wie die Betroffenheit durch den Klimawandel eingeschätzt und/oder mögliche Anpassungsmaßnahmen ausgewählt werden können. Darüber hinaus liegen derartige Leitfäden auch als eigenständige Publikationen vor. Beispielhaft hierfür ist der Leitfaden zum Umgang mit Klimatrends und Extremwettern „Gewerbeflächen im Klimawandel” der RWTH Aachen. Zusätzlich zu diesen Handreichungen existiert eine noch überschaubare Anzahl von softwarebasierten Instrumenten, die interessierte Nutzer bei der Auswahl von Maßnahmen unterstützen. Beispiele sind das Jenaer Entscheidungsunterstützungswerkzeug für lokale Klimaanpassung (JELKA), das Excel-Tool The Social costs of Adaptation: approaches for an evaLuation of aDaptation Options (SALDO) sowie das Meta-Tool Adaptation Decision Explorer (ADx).
- Leitfaden zum Umgang mit Klimatrends und Extremwettern „Gewerbeflächen im Klimawandel” der RWTH Aachen
- Jenaer Entscheidungsunterstützungswerkzeug für lokale Klimaanpassung (JELKA)
- Excel-Tool The Social costs of Adaptation: approaches for an evaLuation of aDaptation Options (SALDO)
- Meta-Tool Adaptation Decision Explorer (ADx)
Leitfaden zur Entscheidungsunterstützung
Nur selten werden jedoch ökonomische Aspekte von diesen Leitfäden miteinbezogen. Um die ökonomische Bewertung und Auswahl alternativer Maßnahmen zu erleichtern, hat das Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung – UFZ einen Leitfaden entwickelt. In fünf Stufen wird der Entscheidungsträger durch den Bewertungsprozess geführt (vgl. Abbildung 1).
Abbildung 1: Bewertungsheuristik
Am Anfang (Stufe 1) steht die Identifizierung der Betroffenheit. Das heißt, zunächst ist die spezifische Problemlage zu erkennen und darzustellen. Durch welche konkreten Auswirkungen des Klimawandels liegt eine Betroffenheit vor?
Im nächsten Schritt (Stufe 2) werden dann mögliche Handlungsoptionen formuliert. Mit welchen Maßnahmen kann der spezifischen Betroffenheit begegnet werden?
Auf der dritten Stufe werden die Kriterien ausgewählt, anhand derer die verschiedenen Maßnahmen miteinander verglichen werden sollen. Auf Grundlage der Kriterien lässt sich dann ein geeignetes Bewertungsverfahren wählen.
Die vierte Stufe, die Datenerhebung und Gewichtung von Bewertungskriterien, ist häufig der aufwendigste Schritt: Hier werden für alle zur Auswahl stehenden Maßnahmen die relevanten Daten erhoben. Die Bewertungskriterien können dabei zudem entsprechend der Präferenzen der beteiligten Stakeholder und Experten gewichtet werden.
Die fünfte und letzte Stufe des Prozesses beschreibt die eigentliche Bewertung und Priorisierung der Maßnahmen. Auf der Grundlage der erhobenen Daten werden die verschiedenen Handlungsoptionen miteinander verglichen.
Anhand eines Fallbeispiels zum betrieblichen Hochwasserschutz aus der Praxis lässt sich der Bewertungsprozess illustrieren und sein Mehrwert für die Entscheidungsfindung aufzeigen.
Fallbeispiel betrieblicher Hochwasserschutz
Die Berzelius Stolberg GmbH (BBH Stolberg) wurde 1848 als Primärhütte gegründet und ist mit 190 Mitarbeitern und einem jährlichen Produktionsvolumen von ca. 150.000 Tonnen Blei und Bleilegierungen sowie 100.000 Tonnen Schwefelsäure international führend in der Technologie der Primärbleierzeugung und Schwefelsäureherstellung. Das Betriebsgelände liegt im Industriegebiet Stolberg (Rheinland) in Tallage direkt an der Vicht.
Berzelius Stolberg GmbH (BBH Stolberg)
Stufe 1: Identifizierung der Betroffenheit
Wie die Hochwassergefährdungskarten zeigen (vgl. Abbildung 2 und Abbildung 3), befinden sich große Teile des Betriebsgeländes im Überschwemmungsgebiet der Vicht.
Abbildung 2: Hochwassergefährdung der Berzelius Stolberg GmbH, Extremhochwasser (EHQ)
Insbesondere zur Schneeschmelze und in Folge von Starkregenereignissen – deren Zunahme im Zuge des Klimawandels allgemein erwartet wird – kam es in der Vergangenheit zu Hochwasser der Vicht und damit zu einer Überschwemmung von Teilen des Geländes.
Abbildung 3: Hochwassergefährdung der Berzelius Stolberg GmbH, 100-jähriges Hochwasser (HQ100)
Die derzeit einzige Zufahrt zum Betriebsgelände überquert die Vicht (vgl. Abbildung 4) und ist bei Hochwasser häufig nicht befahrbar. Der Betrieb der BBH Stolberg macht eine regelmäßige Zulieferung von Hilfsstoffen ebenso notwendig wie einen Abtransport der Produkte und Abfallstoffe. Ist die Zufahrt zum Gelände über längere Zeit eingeschränkt, besteht die Gefahr, dass die Produktion zurückgefahren werden muss.
Abbildung 4: Brücke und Einfahrt zum Betriebsgelände der Berzelius Stolberg GmbH
Stufe 2: Ermittlung möglicher Maßnahmen
Um die Anlagen auf dem Gelände zu sichern und einen störungsfreien Betriebsablauf zu gewährleisten, werden unterschiedliche Hochwasserschutzmaßnahmen erwogen. Aufgrund der örtlichen Gegebenheiten ist eine Kombination von Maßnahmen notwendig, um verschiedene Geländeabschnitte zu sichern.
Es ist zu entscheiden, ob sich ein um 80 cm erhöhter Neubau der Brücke lohnt oder die Brücke ohne Erhöhung saniert werden soll. Der Neubau würde ein Hochwasserschutzniveau von HQ100 sicherstellen, ist aber wesentlich aufwendiger und kostenintensiver als die Sanierung. HQ100 steht für den Hochwasserabfluss eines Gewässers, der im statistischen Mittel alle 100 Jahre überschritten wird („Jahrhunderthochwasser“).
Hinter der Brücke wird das Gelände bisher im Hochwasserfall auf zwei Streckenabschnitten mit Sandsäcken gesichert. Für die Abschnitte 1 und 2 sind verschiedene Hochwasserschutzanlagen denkbar: Für Abschnitt 1, der nur im Hochwasserfall zu schließen ist, werden neben der Sandsacklösung ein mobiles Schlauchsystem sowie ein Dammbalkensystem mit permanentem Fundament in Betracht gezogen. Abschnitt 2 könnte mit Sandsäcken, einem mobilen Schlauchsystem oder mit einer permanenten Lösung in Form einer Hochwasserschutzmauer gesichert werden. Tabelle 1 zeigt die verschiedenen Maßnahmenbündel auf, die miteinander verglichen werden sollen.
Tabelle 1: Bewertete Maßnahmenbündel, eigene Darstellung
Stufe 3: Auswahl von Bewertungskriterien & Bewertungsverfahren
Die zur Bewertung der Maßnahmenbündel herangezogenen Kriterien sind in Tabelle 2 dargestellt. Neben den Kosten der Umsetzung, erforderlichen Reinvestitionen sowie den anfallenden Unterhaltungskosten innerhalb des betrachteten Zeitraums von 100 Jahren fließt kostenseitig eine qualitative Abschätzung des technischen und zeitlichen Aufwands ein, den die Umsetzung der Maßnahmenbündel mit sich bringt. Die Lebensdauer der langlebigsten Komponente der verglichenen Maßnahmenbündel bestimmt in der Regel den betrachteten Bewertungszeitraum. Für weniger langlebige Teilmaßnahmen werden die notwendigen Reinvestitionskosten berücksichtigt. Der Wert zukünftiger Kosten zum Zeitpunkt der Bewertung wird durch die Verwendung einer Diskontrate von 3% p.a. ermittelt.
Tabelle 2: Bewertungskriterien, eigene Darstellung
Die Bewertung des Nutzens erfolgt mittels einer Einschätzung des Potenzials zur Schadenssenkung der einzelnen Maßnahmenbündel. Zudem wird berücksichtigt, wie groß der Aufwand des Einsatzes im Katastrophenfall ist. Zusätzliche, über die Hochwasserschutzwirkung hinaus nutzenstiftende Effekte der Maßnahmenbündel fließen in die Bewertung mit ein. So hätte beispielsweise die Hochwasserschutzmauer, die etwa 50 Meter über den überschwemmungsgefährdeten Abschnitt 2 hinausginge, einen erwünschten Lärmschutzeffekt.
Die vergleichende Bewertung von Anpassungsmaßnahmen kann mit unterschiedlichen Methoden erfolgen: Stehen bei der Abwägung vor allem der erbrachte Nutzen (z.B. in Form vermiedener Schäden) sowie die zu veranschlagenden Kosten im Vordergrund und lassen sich diese in monetären Einheiten angeben, so können Kosten-Nutzen-Analysen durchgeführt werden. Lässt sich der Nutzen zwar nicht monetär bewerten aber über eine bestimmte Zielgröße beschreiben, so ist die Durchführung einer Kosten-Wirksamkeitsanalyse denkbar. Sollen Anpassungsmaßnahmen, wie häufig zu beobachten, anhand mehrerer quantitativer und/oder qualitativer Kriterien miteinander verglichen werden, so bietet sich eine Multikriterien-Analyse zur Auswahl geeigneter Handlungsalternativen an.
Da beim Fallbeispiel verschiedene Kriterien verwendet werden, die sich teilweise monetär und teilweise nur qualitativ abbilden lassen, wird eine Multikriterien-Analyse durchgeführt.
Dazu eignet sich das sogenannte PROMETHEE-Verfahren (Preference Ranking Organisation Method for Enrichment Evaluations). PROMETHEE nimmt einen paarweisen Vergleich aller Maßnahmenbündel über alle Bewertungskriterien vor. Das heißt, jedes Maßnahmenbündel wird hinsichtlich aller Kriterien mit allen alternativen Bündeln verglichen. Dabei werden die Stimmen, die für eine Alternative sprechen, und diejenigen, die dagegen sprechen, ermittelt und gewichtet für jedes Maßnahmenbündel zusammengefasst. Als Ergebnis der Bewertung liegen dann sowohl die Differenz der Pro- und Contra-Stimmen (Stimmen-Saldo) als auch eine Rangfolge der Maßnahmenbündel vor, die angibt, wie häufig diese bei den einzelnen Bewertungen den jeweiligen Rang einnehmen.
Stufe 4: Datenerhebung und Gewichtung der Bewertungskriterien
Die für die Bewertung verwendeten Daten werden zunächst durch Beratungen mit dem Sicherheitsingenieur des Unternehmens BBH Stolberg ermittelt. Ergänzt und validiert werden diese Angaben durch Recherchen zu vergleichbaren Projekten, Konsultationen mit Ingenieur- und Planungsbüros sowie Herstellern von Hochwasserschutzsystemen. Datenbezogenen Unsicherheiten werden durch die Nutzung von Wertespannen berücksichtigt.
In die Bewertung fließt zudem eine durch die betrieblichen Entscheidungsträger vorgenommene Gewichtung der gewählten Bewertungskriterien ein. Diese stellt sicher, dass diejenigen Aspekte, die für das Unternehmen von vorrangiger Bedeutung sind, im Bewertungsprozess angemessen berücksichtigt werden.
Stufe 5: Bewertung und Priorisierung
Die Multikriterien-Analyse kann ohne eine Bewertungssoftware durchgeführt werden – ihr Einsatz vereinfacht die Auswertung jedoch. Das Programm PRIMATE nutzt für die Durchführung der Multikriterien-Analyse das PROMETHEE-Verfahren (s.o. Stufe 3).
Abbildung 5 zeigt das Ergebnis der Bewertung der verschiedenen Hochwasserschutzmaßnahmen auf dem Gelände der BBH Stolberg. Die Auswertung der Stimmen-Salden mithilfe von PRIMATE ergibt, dass das Maßnahmenbündel 4 (erhöhter Brückenneubau, Dammbalkensystem, Hochwasserschutzmauer) in der Bewertung deutlich besser abschneidet als die Alternativen. Maßnahmenbündel 3 (erhöhter Brückenneubau, mobiles Schlauchsystem) erhält insgesamt ebenfalls mehr Pro- als Contra-Stimmen. Die Maßnahmenbündel 1 (Brückensanierung, Sandsäcke) und 2 (erhöhter Brückenneubau, Sandsäcke) schneiden am schlechtesten ab. Abbildung 5 zeigt dabei deutlich, dass aufgrund der verwendeten Wertespannen einige Unsicherheiten bezüglich des Ergebnisses bestehen (gelbe Balken).
Abbildung 5: Stimmen-Salden der bewerteten Maßnahmenbündel - Anmerkung: Je größer der rote Balken über (unter) der roten Linie ist, desto eher (weniger) ist das Maßnahmenbündel geeignet, das Erreichen der Zielsetzung zu befördern. Die gelben Balken zeigen die in der Bewertung enthaltenen Unsicherheiten an. Eigene Darstellung
Auch in der Darstellung der Rangfolge der Maßnahmenbündel zeigen sich diese Unsicherheiten (vgl. Abbildung 6). Die Maßnahmenbündel 3 und 4 liegen auf Rang 1 dicht beieinander. Das heißt, auf Grundlage der ausgewählten Bewertungskriterien, ihrer Gewichtung und der verwendeten Daten stellen die Bündel 3 und 4 beim paarweisen Vergleich der Alternativen in etwa gleich häufig die beste Option dar.
Abbildung 6: Rangfolge der bewerteten Maßnahmenbündel - Anmerkung: Balken zeigen, wie häufig die Maßnahmenbündel bei den Bewertungen den jeweiligen Rang belegen. Eigene Darstellung
Nutzung der Bewertungsergebnisse
Das Unternehmen kann nun abwägen, ob neben der Erhöhung der Brücke entweder in ein Schlauchsystem oder in das Dammbalkensystem und eine Hochwasserschutzmauer investiert werden soll.
Um die Unsicherheiten in den Ergebnissen zu verringern, könnten im nächsten Schritt konkrete Angebote für die Umsetzung der alternativen Maßnahmen Schlauchsystem, Dammbalkensystem und Hochwasserschutzmauer eingeholt werden. Die Einspeisung dieser konkreten Daten in die Bewertung verbessert das Ergebnis, denn bisher liegen hier Kostenspannen zu Grunde.
Fazit
Der Leitfaden beschreibt eine Bewertungsheuristik zur Unterstützung klimaanpassungsbezogener Entscheidungsprozesse. Dieser Bewertungsprozess ist partizipativ angelegt, d.h. er ermöglicht die Einbindung von Entscheidungsträgern und Stakeholdern. Die für multikriterielle Bewertungen einsetzbare Software PRIMATE ist in der Lage, Unsicherheiten in den Eingangsdaten zu berücksichtigen. Zudem können unterschiedliche Gewichtungen der verwendeten Kriterien vorgenommen und ihre Auswirkungen auf das Ergebnis der Bewertung dargestellt werden. Dadurch wird die Transparenz des Entscheidungsprozesses erhöht und die Identifikation von Handlungsspielräumen und Kompromisslösungen erleichtert.
- ThINK – Thüringer Institut für Nachhaltigkeit und Klimaschutz GmbH (2012): Handbuch Klimawandelgerechte Stadtentwicklung für Jena, Schriften zur Stadtentwicklung No 3, Kapitel 10 und 11.1, S. 114-122.
- Gebhardt, O.; Brenck, M; Meyer, V.; Hansjürgens, B. (2012): Entscheidungsunterstützung bei der urbanen Klimaanpassung. Ökonomische Bewertung und Priorisierung von Anpassungsmaßnahmen am Beispiel der Stadt Sangerhausen, Landkreis Mansfeld‐Südharz, Projektbericht Februar 2012
- Zimmermann, H., Gutsche, L. (1991): Multi‐criteria Analyse – Einführung in die Theorie der Entscheidungen bei Mehrfachzielsetzungen, Berlin