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11.08.2015

Klimawandel, Migration und Sicherheit Der Klimawandel bringt nicht nur Ökosysteme durcheinander, er bedroht auch die Lebensgrundlage vieler Menschen.

Gendereinflüsse und soziale Differenzierungen der klimabedingten Migration

Klimabedingte Migration ist bei weitem nicht geschlechtsneutral: Männer und Frauen nehmen Klimawandel und Migration angesichts ihrer spezifischen Erfahrungen, Bedürfnisse und Prioritäten vielfach sehr unterschiedlich wahr und richten sich ganz anders danach aus. In der gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Debatte um klimabedingte Migration stellen Genderfragen ein relativ neues Thema dar (siehe zum Beispiel Findley 1994; Hunter/David 2011; Hunter/David 2009; Tacoli 2011a; Tacoli 2011b; Chindarkar 2012; van der Land/Hummel 2012; Hunter 2013). Die Analyse und das Verständnis geschlechterspezifischer Auswirkungen der klimabedingten Migration erfordern eine Verknüpfung unterschiedlicher Diskurse und Debatten, Forschungsbereiche und Lebensweltrealitäten.

Geschlecht als „gesellschaftliche Strukturkategorie“ (Beer 1990; Becker-Schmidt 1993) bedeutet, dass Geschlecht maßgeblich gesellschaftliche Strukturen prägt und als ein „struktureller Indikator sozialer Ungleichheitslagen“ (Becker-Schmidt 1993: 44) betrachtet werden kann. Ein Beispiel dafür ist die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung zwischen Männern und Frauen. Zugleich wird Geschlecht und die gesellschaftliche Norm der Zweigeschlechtlichkeit im Sinne eines „doing gender“ (Gildemeister 2004) in sozialen Interaktionen und Diskursen immer wieder neu generiert, d.h. sozial konstruiert. Das Geschlecht ist daher auch für gesellschaftliche Naturverhältnisse und deren Regulation von zentraler Bedeutung (Schultz et al 2006; Braidotti et al 1994; Haraway 1988). Geschlechterkonstruktionen und –verhältnisse beeinflussen zum Beispiel sowohl die Bevölkerungsdynamik und Versorgungssysteme, den Zugang zu natürlichen Ressourcen als auch die Lebensweise der Menschen, die Familie, Verwandtschaftsverhältnisse und Haushaltsmerkmale (Hummel 2008; Sperren/Kaufert 1998). Dies ist auch für die klimabedingte Migration von herausragender Bedeutung.

Die Genderforschung und feministische Wissenschaft betrachten die Geschlechterverhältnisse bzw. Geschlecht als eine Kategorie, bei der weitere Einflussfaktoren sozialer Ungleichheiten wie Klasse, „race", Hautfarbe, Ethnizität, Einkommen, Gesundheits- und Bildungsstatus, sexuelle Orientierung usw. zu berücksichtigen sind. Das Konzept der Intersektionalität betont die Verschränkung dieser unterschiedlichen Kategorien sozialer Differenzierung und ihre Effekte auf Machtverhältnisse und Diskriminierung. Diese Fragestellung wird auch in Studien zu Geschlecht und Entwicklung bzw. Studien über Geschlecht, Umwelt und nachhaltige Entwicklung aufgegriffen (Scheich/Wagels 2011, Schultz 2006; Hofmeister/Mölders 2006; Katz et al. 2015).

Geschlecht, Klimawandel und Migration

In jüngsten Studien werden die vielschichtigen geschlechtsspezifischen Auswirkungen des Klimawandels und der Umweltzerstörung hervorgehoben. Angesichts ihres ungleichen Zugangs zu Ressourcen und Informationen, ihrer ungleichen Ermächtigung und Partizipationsmöglichkeiten in Entscheidungsprozessen sind Frauen und Männer unterschiedlich vom Klimawandel betroffen und weisen unterschiedliche Verwundbarkeiten gegenüber dem Klimawandel auf. Aufgrund historisch und gesellschaftlich zugewiesener Geschlechterrollen werden Frauen in der Regel mehr für die Versorgung und den Weiterbestand der Familie verantwortlich gemacht, während Männer im allgemeinen für das wirtschaftliche Auskommen der Familie durch Lohnarbeit, Erwerbstätigkeit und Geldeinkommen zu sorgen haben (Hunter/David 2011, Terry 2009; Schalatek 2011; WEDO 2007; Denton 2002).

Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, die sich mit geschlechtsspezifischen Aspekten der Migration beschäftigen, beschreiben Migration als einen dynamischen, gesellschaftlichen und politischen Prozess, der unterschiedliche geschlechtsspezifische Motive und Muster der Migration "eine Politik der Identitätskonstruktion (z.B. Konstruktionen von Männlichkeit und Weiblichkeit) sowie Vorstellungen von Orten und Räumen, Zugehörigkeit und Mitgliedschaft einbezieht" (Donato et al 2006;. Silvey 2004; Benhabib 2004). Die meisten Studien zur "Feminisierung der Migration" konzentrieren sich auf internationale Migrationsbewegungen. Frauen stellen mehr als die Hälfte der internationalen Migranten dar; die Mehrheit der Migrantinnen befinden sich in prekären Niedriglohnverhältnissen im Industrie- und Dienstleistungssektor oder nehmen irreguläre Jobs an.

Es gibt eine wachsende Zahl von Frauen, die selbstständig und „unabhängig“ von ihren Ehemännern, Verwandten und Familien migrieren. Dieser Trend gilt sowohl für internationale Migrationsbewegungen als auch für Migrationsbewegungen innerhalb eines Landes. Im Allgemeinen verfügen Frauen im Vergleich zu Männern über geringere finanzielle und materielle Ressourcen, aber auch über ein geringeres Sozialkapital, wie soziale Netzwerke, die Migrationsbewegungen erleichtern. Unter bestimmten Umständen können außerdem soziale und kulturelle Normen die Mobilität von Frauen behindern (Morokvasic 2009; Sieveking/Fauser 2009, siehe van der Land/Hummel 2012).

Geschlecht und soziale Ungleichheit

Die Betrachtung geschlechtsspezifischer Auswirkungen kann die Augen für andere soziale Unterschiede öffnen. Geschlechtsspezifische Unterschiede sind ein wichtiger Aspekt der sozialen Ungleichheiten, die Migrationsentscheidungen im Rahmen von klimabedingten und anderen, von Menschen bewirkten Veränderungen der natürlichen Umwelt und der Ökosysteme beeinflussen können. Frauen und Männer sind darüber hinaus nicht nur einzelne Individuen, sondern auch Mitglieder spezifischer Gemeinschaften, z. B. nationaler oder ethnischer Gemeinschaften (Yuval-Davis 1997). Problemwahrnehmungen, Beweggründe zur Migration, Entscheidungsfindungen und Mobilitätsmuster hängen dennoch von jedem einzelnen historischen, politischen, sozialen und wirtschaftlichen Kontext ab und lassen sich schwer verallgemeinern. Auch die Migration selbst hat einen Einfluss auf die Geschlechterverhältnisse und Geschlechterarrangements. Bei der Betrachtung von Genderaspekten müssten daher die Geschichte und Auswirkungen von klimabedingten Migrationsbewegungen für Frauen - aber auch für Männer - sowie die Beziehungen zwischen den Geschlechtern analysiert werden. Dies erfordert empirische und vergleichende Untersuchungen, beispielsweise durch Fallstudien, die erforschen, ob und in welcher Weise klimabedingte Migration Auswirkungen auf die Geschlechterverhältnisse und -anordnungen hat und umgekehrt.

Geschlecht, Verwundbarkeit und Anpassungsfähigkeit

In jüngerer Zeit betonen mehrere Studien zur umweltbedingten oder klimabedingten Migration die These, dass Verwundbarkeit, Anpassungsfähigkeit und Resilienz eng verknüpft sind mit dem Lebensunterhalt, der Risikoexposition und den Anpassungsmöglichkeiten von Einzelpersonen oder Gruppen (Adger 2000; Adger 2006; Folke 2006; GALLOPIN 2006). Demnach kann Migration entweder als ein Scheitern der Anpassung an Umweltveränderungen, als ein Versuch von Einzelpersonen und/oder Haushalten, ihre Verwundbarkeit gegenüber Umweltbelastungen zu mindern, oder als ein wichtiger Bestandteil der Existenzsicherung angesehen werden (McLeman & Smith 2006; McLemann/Hunter 2010; Tacoli 2011a; Scheffran et al. 2011; Warner/Afifi 2014; siehe zum Beispiel die Forschungsprojekte „TransRe - Building resilience through translocality. Climate change, migration and social resilience of rural communities in Thailand", „Where the rain falls", und „micle - Migration, climate change and environment. Social-ecological conditions of population movements in Mali and Senegal”).

Unterschiedliche, komplexe und miteinander verknüpfte Formen der sozialen Ungleichheit tragen zur Verwundbarkeit gegenüber dem Klimawandel und/oder Umweltveränderungen bei. Dazu zählen zum Beispiel Alter, ethnische Zugehörigkeit, Bildung, Beruf und Geschlecht. Bei Untersuchungen der Wechselwirkungen von Klimawandel, Landdegradation und Migration in ausgewählten Regionen in Mali und Senegal zeigte sich im Rahmen des micle- Projektes zum Beispiel, dass formale, schulische Bildung der Menschen einer von verschiedenen wichtigen sozialen Aspekten ist, der Migrationsentscheidungen unter fragilen sozial-ökologischen Bedingungen beeinflusst. Je niedriger das formale Bildungsniveau ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit für eine ökonomische Aktivität in der kleinbäuerlichen Landwirtschaft. Die Vulnerabilität gegenüber Umweltveränderungen wie einer steigenden Variabilität der Niederschläge ist umso höher, je geringer die Menschen über finanzielle Mittel und soziales Kapital verfügen, um Einkommensverluste infolge schlechter Ernten abzufedern. Für diese Gruppe kann Migration in der Tat die einzige Möglichkeit darstellen, die Ernährungssicherung zu gewährleisten. Angesichts ihres insgesamt niedrigeren Bildungsniveaus im Vergleich zum Bildungsstatus der Männer gaben die weiblichen Befragungsteilnehmerinnen in den untersuchten Regionen Bildung nur selten als ein wichtiges Motiv für ihre Migration an. Frauen nannten stattdessen neben ökonomischen Gründen insbesondere „Besuche“ und „familiäre Gründe“ als wesentliches Motiv (van der Land/Hummel 2013).

Klimabedingte Migration, einschließlich geschlechtsspezifischer Migration, hängt von den jeweiligen spezifischen Befähigungen (‚capabilities‘), Lebensweisen und Anpassungsmöglichkeiten der einzelnen Personen, Haushalte und Gruppen ab (Schade 2013, Nussbaum/Sen 1993). Frauen und Männer verfügen aufgrund ihrer unterschiedlichen Fähigkeiten über unterschiedliche Kapazitäten zur Bewältigung sozial-ökologischer Problemlagen und unterschiedliche Strategien zur Anpassung an den Klimawandel, einschließlich der Migration. Physische Unterschiede zwischen Männern und Frauen, aber auch zwischen älteren und jüngeren Menschen, sowie der kulturelle Kontext spielen eine entscheidende Rolle bei der Bewältigung (klimabedingter) Umweltveränderungen (Hunter/David 2011). Gut ernährte und körperlich robuste Menschen haben zum Beispiel über ausreichende finanzielle Mittel hinaus andere Voraussetzungen, um zum Beispiel mit Dürren und Wasserknappheit fertig zu werden als unterernährte oder ältere Menschen oder Menschen mit Behinderung.

Diese Faktoren beeinflussen auch die Mobilität der Menschen. Insgesamt stellt Migration einen Prozess und keinen Zustand dar. Geschlechterrollen und geschlechtsspezifische Unterschiede wirken sich nicht nur auf Migrationsbewegungen aus, sondern Migrationsbewegungen prägen umgekehrt auch die Geschlechterverhältnisse, einschließlich beispielsweise der Normen, Wahrnehmungen und Erwartungen hinsichtlich Mobilität/Migration oder einer sicheren und nachhaltigen Lebensweise.

Schlussfolgerungen

In der wissenschaftlichen Literatur wird in jüngerer Zeit vielfach herausgestellt, dass es sich bei umwelt- und klimabedingter Migration um ein multikausales Phänomen handelt (Adamo/Curran 2012; Piguet et al. 2011; Black et al. 2011; Warner et al. 2010; Piguet/Laczko 2014). Da ökologische, soziale, wirtschaftliche, kulturelle und politische Faktoren in komplexen Wechselwirkungen stehen, ist es unmöglich, einzelne Einflussfaktoren aus dem Bündel vielfältiger Ursachen zu isolieren. Genderfragen und soziale Ungleichheiten sind innerhalb klimabedingter Migration daher als Teil sozial-ökologischer Transformationen und deren Regulierungen zu betrachten. Hinsichtlich der Handlungsspielräume und Bewältigungskapazitäten ist der je spezifische Charakter der Auswirkungen des Klimawandels und der Umweltveränderungen von Bedeutung. Hierzu zählen auf der einen Seite langfristige Veränderungen wie Landdegradation oder der Anstieg des Meeresspiegels oder kurzfristige Veränderungen wie Überschwemmungen oder Wirbelstürme. Bedeutsam ist auch, ob die Umweltveränderungen durch menschliches Handeln oder durch Naturkatastrophen verursacht wurden. Auf der anderen Seite sollte die Art der Migrationsbewegungen berücksichtigt werden: Erfolgen diese auf internationaler Ebene oder innerhalb des Landes, sind diese kurzfristig oder langfristig, erfolgen sie freiwillig oder vielmehr erzwungen? Die geographische Lage ist von Bedeutung, z.B., ob die Menschen in Metropolregionen oder ländlichen Räumen leben/bleiben oder dort hin-/wegziehen, und ob es sich um Industrie-, Transformations- oder Entwicklungsländer handelt. Darüber hinaus haben Politik und Institutionen einen maßgeblichen Einfluss auf den Handlungsspielraum, da sie die Verwundbarkeit und Anpassungskapazität bestimmen. Dies betrifft praktische Fragen, z.B. ist die Gemeinde auf Auswirkungen des Klimawandels vorbereitet und mit der notwendigen Infrastruktur, Verwaltung, den finanziellen Ressourcen und politischen Steuerungsmöglichkeiten ausgestattet, welche Art von Migrationspolitik existiert usw. (verschiedene Fallbeispiele finden sich bei Hunter/David 2011).

Genderaspekte und soziale Unterschiede bei klimabedingten Migrationsbewegungen veranschaulichen die Rolle der betroffenen Menschen (Frauen und Männer, junge und ältere Menschen, Migranten oder Nicht-Migranten) als Subjekte, Handelnde und BürgerInnen. Sie handeln meist nicht als einzelne Individuen, sondern leben in sozialen Zusammenhängen. Angesichts ihrer spezifischen Situation und Positionierung stellen sie sowohl gesellschaftliche Anspruchsgruppen („Stakeholder“) als auch „Wissensträger" dar. Als solche sollten sie betrachtet und in entsprechenden Untersuchungen zur klimabedingten Migration sowie bei politischen Maßnahmen einbezogen werden.

Autorin
Diana Hummel
Dr. Diana Hummel
Institut für sozial-ökologische Forschung (ISOE), Frankfurt
Referenzen, weiterführende Literatur