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07.08.2020

Globale Klimamodellierung Hoch entwickelte Klimamodelle versuchen, das Klima so realitätsnah wie möglich abzubilden und Aussagen über seine künftigen Veränderungen zu machen.

Erdsystemmodelle

Rahmenbedingungen

Bis zum vierten Sachstandsbericht des Weltklimarates IPCC von 2007 waren gekoppelte Atmosphäre-Ozean-Modelle die Standardmodelle. Sie repräsentieren die physikalischen Prozesse und Wechselwirkungen von Atmosphäre und Ozean sowie der Landoberfläche und dem Meereis. Ihre primäre Funktion ist es, die Prozesse im physikalischen Klimasystem zu verstehen. Sie werden vielfach für Projektionen möglicher Klimaentwicklungen in der Zukunft verwendet, basierend auf Annahmen zur künftigen Entwicklung der atmosphärischen Konzentration von Treibhausgasen und Aerosolen (IPCC WG1, 2013, 9.1.2.1).

Viele Ergebnisse des 5. Berichts des IPCC von 2013 basieren auf Simulationen mit Erdsystemmodellen, beziehen also den Kohlenstoffkreislauf mit ein. Diese weltweit von großen Klimamodellierungszentren im Hinblick auf den IPCC-Bericht durchgeführten Simulationen werden vom Coupled Model Intercomparison Project (CMIP) koordiniert, einem Teil des Weltklimaforschungsprogramms (World Climate Research Programme -WCRP) der Weltorganisation für Meteorologie (WMO). Von CMIP1 und CMIP2 bis CMIP6 in der Gegenwart tragen diese Modellprojekte zur Erstellung der Berichte des Weltklimarates IPCC bei. Im Vergleich zu CMIP5, das die Entstehung des 5. Assessment-Reports (AR5) des IPCC begleitete, nimmt an CMIP6, das Modellrechnungen für den für 2021 geplanten 6. Report bereitstellt, eine deutlich größere Anzahl an Forschungsinstituten teil. Dabei stehen drei wissenschaftliche Fragestellungen im Fokus (Stouffer, R. J. et al., 2017):

1. Wie reagiert das Erdsystem auf Änderungen des Antriebs?
2. Was sind die Ursachen und Folgen systematischer Modell-Abweichungen von der Beobachtung?
3. Wie kann der künftige Klimawandel angesichts der internen Klimavariabilität und von Unsicherheiten in den Szenarien bestimmt werden?

Die inhaltliche Schwerpunkte der aktuellen Modellexperimente von CMIP6 richten sich an den ‚großen wissenschaftlichen Herausforderungen des Weltklimaforschungsprogramms aus (WCRP Grand Challenges). Dabei handelt es sich um sieben Themenbereiche, die sowohl wissenschaftliche Aufgaben formulieren als auch gesellschaftlich relevant sind:

  1. Schmelzendes Eis und die globalen Folgen
  2. Wolken, Zirkulation und Klimasensitivität
  3. Kohlenstoff-Rückkopplungen im Klimasystem
  4. Wetter- und Klimaextreme
  5. Wasser für die Nahrungsmittelkörbe der Welt
  6. Regionaler Meeresspiegelanstieg und die Folgen für die Küsten
  7. Kurzfristige Klimavorhersagen

Biogeochemische Kreisläufe

Die allgemeinen Zirkulationsmodelle der Atmosphäre und des Ozeans bilden den Kern eines Erdsystemmodells. Weitere Modellkomponenten beschreiben Prozesse der Landbiosphäre (dynamische Vegetation), der marinen Biogeochemie, der Eisdynamik sowie Aerosole und chemische Prozesse in der Atmosphäre. Somit werden auch verschiedene biogeochemische Kreisläufe abgebildet, die mit den physikalischen Systemen interagieren. Dazu gehören vor allem der Kohlenstoffkreislauf, der Sulfat- und der Ozon-Kreislauf.

Zwar werden Kohlendioxid, Ozon, Aerosole, und Vegetation auch in gekoppelten Atmosphäre-Ozean-Modellen berücksichtig, aber es gibt keine interaktive Rückkopplungen mit dem physikalischen Klimasystem. Die Ermöglichung dieser Rückkopplungen bei Klimasimulationen mit einem Erdsystemmodells macht jedoch einen wesentlichen Unterschied zu Simulationen mit einem physikalischen Klimamodell (Flato, G., 2011). Auch die Anthroposphäre kann wie in der folgenden Abbildung als Teil eines Erdsystemmodells betrachtet werden.

Prozesse und Wechselwirkungen in einem Erdsystemmodell (DWD, 2017)

Prozesse und Wechselwirkungen in einem Erdsystemmodell (DWD, 2017)

Die Berücksichtigung biogeochemischer Kreisläufe in Klimamodellen ist ein wichtiger Fortschritt in der Modellentwicklung. Zum Beispiel ermöglicht die Berechnung des Kohlenstoffkreislaufes, dass Veränderungen der atmosphärischen CO2-Konzentration durch menschlichen Einfluss nicht mehr vorgeschrieben werden müssen, sondern auch direkt auf Basis vorgeschriebener CO2-Emissionen berechnet werden können. Die interaktive Kopplung von Atmosphäre, Ozean und Vegetation simuliert den Austausch von Kohlenstoff zwischen diesen Komponenten und berechnet daraus die resultierenden atmosphärischen CO2-Konzentrationen. Derzeit nehmen Ozean und Vegetation mehr CO2 auf, als sie wieder an die Atmosphäre abgeben, und bilden damit Netto-Senken der anthropogenen CO2-Emissionen. Der Kohlenstoffaustausch verändert sich jedoch bei zunehmender Erwärmung, und damit ändert sich auch die Kohlenstoffbilanz. Ein wärmerer Ozean kann weniger CO2 aufnehmen, also verbleibt mehr Kohlendioxid in der Atmosphäre. Dadurch wird die Erwärmung der Atmosphäre und des Ozeans verstärkt, und es kommt zu einer positiven, also sich selbst verstärkenden Rückkopplung. Der Ozean kann sogar zur Quelle von CO2 werden.

Durch ein geändertes Klima ändert sich außerdem die Photosynthese der Pflanzen, und damit ändert sich auch die Kohlenstoffbilanz zwischen Biosphäre und Atmosphäre. Eine Erhöhung der CO2-Konzentration in der Atmosphäre kann eine Zunahme des Pflanzenwachstums und damit vermehrte Bindung von Kohlenstoff bedeuten. Ab bestimmten Temperaturen kann jedoch die Freisetzung von Kohlenstoff durch Zersetzung von organischem Material überwiegen. Geringere Niederschläge können zudem in bestimmten Regionen der Erde das Pflanzenwachstum einschränken. So kann es auch zwischen Vegetation und Atmosphäre zu positiven Rückkopplungsprozessen kommen. Nur durch die Berücksichtigung des Kohlenstoffkreislaufes und seiner vielfältigen Wechselwirkungen mit den physikalischen Prozessen im Klimasystem können Erdsystemmodelle solche Rückkopplungsprozesse abbilden.

Erdsystemmodell mit integriertem, interaktivem Kohlenstoff-Kreislauf (Eigene Darstellung, Dieter Kasang) nach IPCC 2013 WGI, Box 6.4, Figure 1)

Erdsystemmodell mit integriertem, interaktivem Kohlenstoff-Kreislauf (Eigene Darstellung, Dieter Kasang) nach IPCC 2013 WGI, Box 6.4, Figure 1)

In den Modellrechnungen zum 5. Sachstandsbericht des Weltklimarates wurde allgemein die Kohlenstoffaufnahme auf dem Land überschätzt, da die Verfügbarkeit von Stickstoff weitgehend unberücksichtigt blieb (Jones, C. D. et al., 2016). Neuere Erdsystemmodelle beziehen den terrestrischen Stickstoff-Zyklus und seine Kopplung mit dem Kohlenstoff-Zyklus auf dem Land mit ein. Die simulierte zunehmende Begrenzung der Stickstoffverfügbarkeit dämpft die Reaktion der Nettoprimärproduktion und der Kohlenstoffspeicherung auf steigende atmosphärische CO2-Konzentrationen. Die Berücksichtigung der biogeochemischen Bodenprozesse durch mehrere Schichten (statt wie bisher mit nur einer einzigen Schicht) hat ebenfalls zur Verbesserung des Modells beigetragen. Es wird damit gerechnet, dass damit auch eine verbesserte Simulation der Dynamik von Kohlenstoff im Permafrost möglich werden kann (Mauritsen, T. et al., 2019).

Am Beispiel des Kohlenstoff-Kreislaufs wird deutlich, dass die Vegetation mit dem physikalischen Klimasystem interagiert. Erdsystemmodelle besitzen daher ein interaktives Vegetationsmodell. Die Vegetation bestimmt auch wichtige biogeophysikalische Prozesse. Sie beeinflusst die Albedo der Erdoberfläche und damit auch direkt die Energiebilanz. Zudem steuert sie den Austausch von Wasser zwischen Boden und Atmosphäre über die Verdunstung und beeinflusst damit sowohl den Wasser- als auch den Energiekreislauf. Veränderungen der Vegetationsdecke wie z.B. eine Nordverlagerung der borealen Wälder haben wichtige biogeophysikalische Rückkopplungen mit dem physikalischen Klimasystem zur Folge. Daher wurden verschiedene dynamische globale Vegetationsmodelle entwickelt und in Erdsystemmodelle integriert. Auch Wechselwirkungen mit (durch den Klimawandel zunehmenden) Waldbränden können heute von Erdsystemmodellen berücksichtigt werden.

Eisschilde

Eine weitere wichtige Ergänzung neuerer Erdsystemmodelle ist die Einbeziehung von dynamischen Eisschildmodellen (Nowicki, S. M. J. et al., 2016). Im Hinblick auf den weiteren Verlauf des künftigen Meeresspiegelanstiegs wird die Berücksichtigung der Entwicklung der Eisschilde mit zunehmender Erwärmung immer wichtiger; gleichzeitig sind viele relevante Prozesse und Randbedingungen noch nicht gut bekannt. Der Anteil von Eisschilden zum künftigen Meeresspiegelanstieg wurde bisher durch separate Modellstudien und Abschätzungen erfasst und nicht mit der künftigen Klimaänderung gekoppelt.

Jüngere Beobachtungen zeigen jedoch, dass Eisschilde durch dynamische Prozesse, die mit der Klimaentwicklung in Wechselwirkung stehen, schneller an Masse verlieren könnten als in bisherigen Modellstudien angenommen. Dabei geht es um Prozesse wie das Eis-Höhenfeedback: Eisschilde verlieren z.B. in einem wärmeren Klima durch Schmelzprozesse an Höhe, wodurch ihre Oberfläche in wärmere Atmosphärenschichten gelangt, was wiederum das Abschmelzen des Eises verstärkt. Oder es geht um die Eis-Albedo-Rückkopplung, bei der der Verlust an Eis dunklere Landflächen freilegt, wodurch die Albedo herabgesetzt wird, was zu weiterer Erwärmung und verstärkter Eisschmelze führt. Das Schmelzwasser der Eisschilde kann außerdem die Dichte des Meerwassers beeinflussen (siehe Abb. unten) und damit etwa die nordatlantische Umwälzzirkulation abschwächen (Ziemen, F. A., Kapsch, M.-L., Klockmann, M., and Mikolajewicz, U., 2019).

Durch solche Prozesse wird das Abschmelzen von Eismassen durch Rückkopplung mit dem übrigen Klimasystem beschleunigt oder (wie im letzten Beispiel) verlangsamt und damit der Meeresspiegelanstieg entscheidend beeinflusst, was wiederum Folgen für tief liegende Küstengebiete weltweit hat.

Simulation eines Heinrich-Ereignis mit dem gekoppelten Eisschild-feste-Erde-Klimamodell: Ein Eisstrom (rot) transportiert Eis aus der Hudson-Bucht in die Labrador-See. Beim Schmelzen entstandenes Süßwasser führt zu einer Absenkung des Oberflächensalzgehaltes (dunkelblau im Ozean). (Grafik: Florian Ziemen, DKRZ. Siehe auch Ziemen et al. 2019)

Simulation eines Heinrich-Ereignis mit dem gekoppelten Eisschild-feste-Erde-Klimamodell: Ein Eisstrom (rot) transportiert Eis aus der Hudson-Bucht in die Labrador-See. Beim Schmelzen entstandenes Süßwasser führt zu einer Absenkung des Oberflächensalzgehaltes (dunkelblau im Ozean). (Grafik: Florian Ziemen, DKRZ. Siehe auch Ziemen et al. 2019)

Die Wechselwirkungen zwischen dem Antarktischen Eisschild und dem umgebenden Ozean stellen insbesonders große Herausforderungen für die Modellierung dar und sind in ihren Auswirkungen auf den Meeresspiegel gegenwärtig kaum abzuschätzen. So kommt eine Modell-Studie von 2016 (DeConto, R., Pollard, D., 2016) die die Instabilität von sehr hohen marinen Eiskliffs untersucht hat, zu dem Ergebnis, dass der alleinige Beitrag der Antarktis zum Meeresspiegelanstieg bei einem hohen Szenario bis 2100 bis zu einem Meter betragen könnte.

Diesem Wert haben spätere Untersuchungen zwar widersprochen und geben maximal 40 cm an, die Autoren betonen aber die große Unsicherheit in der Modellierung wesentlicher interaktiver Prozesse zwischen Eisschild und Ozean. So könnte das Abschmelzen von Schelfeis von der Unterseite her infolge des Eindringens von warmem Meerwasser den Meeresspiegel durchaus stärker ansteigen lassen als im 5. IPCC-Bericht (2013) angenommen (Seroussi, H., 2019).

In jedem Fall zeigen diese und ähnliche Prozesse, wie z.B. der Rückzug der Grundlinie der Eischelfe in der Antarktis, die Notwendigkeit, die Wechselwirkungen zwischen Eisschild und anderen Komponenten des Klimasystems zu simulieren. Das gilt besonders für Projektionen über mehrere Jahrhunderte, da Eisschilde sehr langsam auf Klimaantriebe reagieren.

Klimasensitivität

Ein überraschendes vorläufiges Ergebnis neuerer Modellrechnungen im Rahmen des CMIP6-Projekts ist die gegenüber früheren Modellen größere Klimasensitivität einiger aktueller Modelle.

Die so genannte Klimasensitivität unseres Planeten ist nicht exakt bekannt – sie ist ein Maß dafür, wie sensibel die global gemittelte bodennahe Lufttemperatur auf Änderungen der Kohlendioxid-Konzentration reagiert. Sie ist daher für die Simulation des künftigen Klimas eine entscheidende Größe. Die Klimasensitivität wird in °C angegeben und steht für die Temperaturänderung, die die Erde bei einer Verdoppelung des CO2-Gehalts langfristig erfahren würde. Dabei wird angenommen, dass sich das Klima vor und nach der Änderung in einem Gleichgewicht befindet.

Der letzte Bericht des Weltklimarats von 2013 dokumentiert eine Spanne zwischen 1,5 °C und 4,5 °C bei Verdoppelung der CO2-Konzentration. In einer aktuelleren Arbeit (Jiménez-de-la-Cuesta, D., Mauritsen, T., 2019) wurde eine Klimasensitivität von ca. 2,8 Grad (bei einer verkleinerten Unsicherheitsspanne von 1.72–4.12 Grad) auf Basis der seit 1970 beobachteten Klimaerwärmung und den CMIP5-Modellrechnungen für diese Periode abgeschätzt (Hausfather, Carbon Brief, 2019).

Die bisher gerechneten 31 CMIP6-Simulationen weisen aber eine größere Spanne der Klimasensitivität von 1,8-5,6 °C auf, zehn von ihnen übertreffen sogar den höchsten Wert der CMIP5-Modelle von 4,5 °C.

Noch liegen allerdings weniger als ein Drittel der erwarteten Modellergebnisse zu dem Thema vor. Daher lassen sich auch die Gründe für die höhere Klimasensitivität noch nicht endgültig bestimmen. Eine wichtige Rolle dürfte die Darstellung von tieferen außertropischen Wolken besonders über dem Südlichen Ozean spielen. Eine mögliche positive Rückkopplung könnte darin bestehen, dass sich durch die globale Erwärmung die tiefere Wolkenbedeckung stärker auflöst und damit mehr Sonneneinstrahlung absorbiert wird (Zelinka, M.D., 2020).

Die Gleichgewichts-Klimasensitivität nach dem 5. Bericht des Weltklimarats IPCC von 2013 (links), nach Modellberechnungen der CMIP5-Generation (Mitte) und nach CMIP6-Modellen (rechts) (Hausfather, Carbon Brief, 2019)

Die Gleichgewichts-Klimasensitivität nach dem 5. Bericht des Weltklimarats IPCC von 2013 (links), nach Modellberechnungen der CMIP5-Generation (Mitte) und nach CMIP6-Modellen (rechts) (Hausfather, Carbon Brief, 2019)

Ziel der Erdsystemmodellierung ist es, möglichst alle Wechselwirkungen wichtiger biogeophysikalischer und biogeochemischer Prozesse im Klimasystem modellieren zu können, unter Einbindung von Atmosphäre, Biosphäre, Hydrosphäre (die Ozeane und alle Gewässer), Kryosphäre (Eis und Schnee) und sogar der Anthroposphäre (die durch den Menschen bestimmten Aktivitäten und Veränderungen) mit ihren Treibhausgasemissionen.

Angestrebt wird also die Entwicklung eines "System-Erde-Modells", das möglichst alle Komponenten des Klimasystems einschließlich ihrer Rückkopplungen und der externen Störungen simuliert. Ein solches Erdsystemmodell, das allerdings enorm viel Rechenkapazität erfordert, könnte künftig auch die Rückwirkungen auf die menschliche Gesellschaft darstellen.

Autoren

Dr. Dieter Kasang
im Auftrag vom Climate Service Center des Helmholtz-Zentrums Geesthacht

Michael Böttinger,
Deutsches Klimarechenzentrum (DKRZ)

Quellen