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30.04.2013

Klimawandel und Wirtschaft Der Klimawandel wird sich künftig verstärkt auf die Handlungsmöglichkeiten von Unternehmen auswirken. Wie greift die Wirtschaft den Klimawandel auf?

Wasserentgeltgestaltung in Zeiten des Wandels: Ergebnisse empirischer Untersuchungen aus den Jahren 2010 und 2012

© IWW

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Klimawandel und Trinkwasserentgelte

Wandelerscheinungen wie die Auswirkungen des Klimawandels mit damit einhergehenden stärkeren Auslastungsschwankungen bestehender Anlagen, neuen Qualitätsanforderungen und sich verändernden Verbraucherverhalten sind neben dem demografischen Wandel Faktoren, die in eine langfristige Planung eingehen sollten. Wasserentgelte sind stets das Ergebnis von Absatzmengenprognosen mit den erwarteten Versorgungskosten. Es steht erst am Ende einer Periode fest, ob die Wasserentgelte tatsächlich die zur Substanzerhaltung erforderlichen Erlöse erzielen konnten. Die Anforderung an die Tarifgestaltung ist es, dieses „vorkalkulatorische Risiko“ geeignet zu berücksichtigen und es zumindest nicht zu begünstigen. Auch kann sie z.B. Fehlprognosen bei der Kostenschätzung nicht entgegenwirken. Tarifmodelle erweisen sich aber gegenüber prognostizierten Absatzschwankungen als unterschiedlich robust. Stark mengenorientierte Tarifmodelle eignen sich besser für Branchen mit konstantem Absatzvolumen und geringen Planungsunsicherheiten. Für fixkostenintensive Wasserversorgungsunternehmen (vgl. Abel 2009) gelten diese Grundsätze jedoch in gesteigertem Maß, da selbst bei geringeren Absatzschwankungen stark mengenlastige Tarifmodelle schnell zu vergleichsweise hohen „Ausschlägen“ auf der Erlösseite führen können.

Im Falle eines anhaltenden Verbrauchsrückganges (vgl. Kersting/Werbeck 2013) befindet sich das Wasserversorgungsunternehmen bei reiner Mengenentgeltkalkulation in einer dauerhaften Fixkostenfalle (mit überproportional steigenden Stückkosten). Anpassungsmaßnahmen an die Auswirkungen des Klimawandels können neben einer Erhöhung der Betriebsaufwendungen auch erhöhte Investitionen beispielsweise zur Absicherung von Wasserwerken gegen vermehrt auftretende Hochwässer (vgl. Kersting/Werbeck 2012) oder von stark schwankenden Rohwasserqualitäten notwendig machen (vgl. Rohn/Mälzer 2010). Diese klimawandelbedingten Mehrkosten gilt es mit einem nachhaltigen Trinkwassertarifmodell so weit wie möglich aufzufangen statt über eine Erhöhung der Wasserentgelte eine kurzfristige Lösung herbeizuführen. Daher widmet sich dieser Beitrag den Kernfragen:

  • Wie sind die derzeitigen Tarifmodelle in der dynaklim-Region (siehe unten) ausgestaltet? Sind die Tarifmodelle gegenüber Klimawandel-Auswirkungen robuster geworden?

Um diese Fragestellung zu ergründen, wurde eine zweistufige Untersuchung der Trinkwasserentgelte und -strukturen im Rahmen des vom Bundesministeriums für Bildung und Forschung geförderten Projektes dynaklim („Dynamische Anpassung regionaler Planungs- und Entwicklungsprozesse an die Auswirkungen des Klimawandels in der Emscher-Lippe-Region (Ruhrgebiet)“, weitere Informationen auf www.dynaklim.de) durchgeführt. Die Erhebung erfolgte für die Jahre 2010 und 2012 (vgl. Neskovic/Hein 2013) Die Daten zu den Tarifmodellen wurden den jeweils geltenden Preisblättern der Wasserversorgungsunternehmen entnommen. Untersucht wurden die Bruttoentgelte von Wasserversorgungsunternehmen, die Trinkwasser an den Endverbraucher verteilen; Zwischenlieferanten wurden nicht berücksichtigt. Zur Vergleichbarkeit erfolgte die Umrechnung in drei Typfälle und deren jeweiligen Grund- und Mengenentgelte: Typfall 1 (Einfamilienhaus): Zählergröße Qn (Nenndurchfluss) 2,5 m³/h, 1 Haushalt, Wasserabnahme 150 m³/Jahr, Typfall 2 (Mehrfamilienhaus): Zählergröße Qn 2,5 m³/h, 4 Haushalte, Wasserabnahme 400 m³/Jahr sowie Typfall 3 (kleines Gewerbe- /Industrieunternehmen): Zählergröße Qn 15 m3/h bzw. 50 mm Anschluss, Wasserabnahme 7500 m3/Jahr.

Grundentgelt

Bei der Erhebung des Grundentgeltes werden unterschiedliche Bezugsgrößen (Zähler, Zähler und Haushalt, Zähler oder Haushalt, Haushalt, Wohneinheit) genutzt. Es kann festgestellt werden, dass in der dynaklim-Region die Mehrzahl der Wasserversorgungsunternehmen das Grundentgelt pro Wasserzähler bestimmen. Nur ein Wasserversorger hat eine Veränderung während 2010 und 2012 vorgenommen.

Mengenentgelt

Beim Ausprägungsmerkmal Bezugsgröße greifen die Wasserversorgungsunternehmen bei der Bestimmung des Mengenentgeltes ausnahmslos auf die Bemessungsgrundlage Wasserverbrauch in m³ und damit auf die tatsächliche Wasserentnahme der Kunden zurück. Veränderungen zwischen 2010 und 2012 hat es hier nicht gegeben. Das Mengenentgelt ist bei 32 von 36 Unternehmen nicht gestaffelt, d.h. für alle Verbrauchsmuster oder -profile wird das gleiche Mengenentgelt erhoben. Sonderverträge für Großabnehmer ab ca. 20.000 m³ Jahresumsatz bietet ein Großteil der Wasserversorgungsunternehmen an, was in bilateralen Einzelverträgen geregelt wird. Lediglich drei Wasserversorgungsunternehmen rechnen ein degressives Mengenentgelt ab, d.h. das Mengenentgelt sinkt mit steigendem Verbrauch. Für die Wasserversorgungsunternehmen der Projektregion bleibt festzuhalten, dass der Großteil der Versorger ein derzeitiges Tarifmodell verwendet, welches auf einem gestaffelten, progressiven Grundentgelt pro Zähler nach Zählergröße und einem einheitlichen Mengenentgelt je m³ Trinkwasser basiert.

Abbildung 1: Durchschnittliche Tarifstruktur im Haushalts- und Industriekundenbereich der Jahre 2010 und 2012

Abbildung 1: Durchschnittliche Tarifstruktur im Haushalts- und Industriekundenbereich der Jahre 2010 und 2012

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Tarifstruktur

Die Analyse der Tarifstruktur je Typfall gibt Abbildung 1 wieder. Der Anteil des Grundentgeltes am Gesamtentgelt beträgt beim Einfamilienhaus rd. 35% (bzw. 36% in 2012), beim Mehrfamilienhaus werden gut 19% erreicht und bei(m) kleinen Industrie- und Gewerbekunden liegt der Grundentgeltanteil bei rund 5%. Das Ergebnis zeigt, dass bei keinem Typfall die Struktur von Grund- und Mengenentgelt die durchschnittliche Kostenstruktur eines Wasserversorgers wiederspiegelt und der Anteil des Grundentgelts an den fixen Kosten sehr niedrig ist.

Anpassung an den Klimawandel und dessen Finanzierung sind dauerhaft sicherzustellen

In der Projektregion dynaklim lässt sich bei allen Wasserversorgern eine Tarifstruktur aus Grund- und Mengenentgelt, die stark verbrauchsabhängig ist, feststellen. Dies macht die Erlösfunktion anfällig für sinkende Wasserabgabemengen, die beispielsweise durch das Sparverhalten der Verbraucher oder wirtschaftlicher Krisen bedingt sind sowie klimawandelinduzierter Verhaltensänderungen, die unter anderem durch höheren Wasserverbrauch in heißen Sommern starke Anlagenauslastungsschwankungen zur Folge haben. Insbesondere wenn über mehrere Jahre Tarifstabilität in Form von konstanten Entgelten erreicht werden soll, birgt eine mengenlastige Entgelterhebung die Gefahr, sensibel auf Planungsunsicherheiten auf der Erlösseite zu reagieren und zu Kostenunterdeckungen zu führen. Ferner ist es nicht verursachungsgerecht, die hohe Fixkostenlast zum Großteil auf die verbrauchsabhängige Komponente umzulegen.

Es ließ sich beobachten, dass zwischen 2010 und 2012 im Haushaltskundenbereich 22% der Wasserversorgungsunternehmen eine Erhöhung der Grundentgelte vorgenommen haben und gut 19% eine Anpassung der Mengenkomponente. Im kleinen Gewerbe- und Industriekundenbereich ließ sich bei rund 15% eine Erhöhung beim Grundentgelt sowie bei rund 19% der Wasserversorgungsunternehmen eine Anpassung der Mengenkomponente feststellen. Beim Mengenentgelt sind zwei Senkungen erfolgt. Es sind durchaus Veränderungen in Bezug auf eine Anhebung der Grundentgelts bei den Tarifstrukturen für Trinkwasser erkennbar. Allerdings hat sich gezeigt, dass in der betrieblichen Praxis über das Grundentgelt nur eine anteilige Abdeckung zwischen 5 und 36% der fixen Kosten erzielt wird und damit die Schere zwischen Erlös- und Kostenfunktion sich nicht schließt. Im Sinne einer optimalen Allokation von Kosten und Erlösen wäre es wünschenswert, dass sich Kosten- und Erlösfunktion möglichst vollständig decken. Nimmt man nun die Klimawandel-Auswirkungen und andere Wandelerscheinungen hinzu, muss davon ausgegangen werden, dass die heutige durchschnittliche Trinkwassertarifstruktur in der dynaklim-Region, eine langfristig stabile Refinanzierung von Versorgungs- und Anpassungskosten ohne Preiserhöhungen schwer ermöglicht. Eine schrittweise Anpassung der Entgelt- an die Kostenstruktur im Sinne einer anteiligen Grundentgeltanhebung und Mengenentgeltsenkung würde die Tarifmodelle gegenüber Wandelerscheinungen robuster gestalten.